Grundlagen einer holistischen Ethik

Eine Zusammenstellung meiner wichtigsten Aussagen zu den Grundlagen der Ethik
und über ethisches Verhalten


veröffentlicht in "unitarische blätter" Heft 2, März/April 2001

Zusammenfassung:
Jeder Körper wirkt durch die mit ihm verbundene Schwerkraft auf alle anderen und umgekehrt;
jede einzelne Zelle eines lebendigen Organismus enthält die gesamte Erbinformation;
alles Leben bedarf zum Überleben einer gegliederten und komplexen Umwelt,
- alles ist Teil des Ganzen und enthält es.
Ethisches Leben ist Leben aus dem Zusammenhang des Ganzen und auf es hin.
So ergibt sich das Sollen aus dem Sein - eine holistische Verantwortungs-Ethik.
Wer nicht das Ganze bedenkt, bedenkt zu wenig.

aus: (I/C5) Für eine Akzeptanz ganzheitlicher Effekte

In einer Zeit, in der sich der Mensch in ihn gefährdender Weise aus dem Naturzusammenhang gelöst hat, sehe ich für ihn das Bedenken ganzheitlicher Zusammenhänge als vordringlich an. So wie es erwiesenermaßen schon physikalisch bei den größten und kleinsten Körpern keinen gibt, der rein für sich existiert, gibt es erst recht keine Lebenserscheinung, die nicht auf andere und Nichtlebenserscheinungen existentiell angewiesen ist und bleibt. Das müssen wir, um unserer Zukunft willen, lernen zu verstehen und zu leben.

Das von Kosmologen diskutierte anthropische Prinzip besagt, daß zwischen dem jetzigen Zustand des Universums und der Existenz von Menschen eine Korrelation besteht. Also: wenn das Universum nicht in dem komplexen Zustand wäre, wie er gegenwärtig festzustellen ist, dann wären wir gar nicht da. Die Fahne der Eigenliebe schwenkend haben einige aus dieser richtigen Einsicht den irrigen Schluß gezogen, daß der Mensch der Zweck des Universums wäre, das ihm daher zu dienen hätte, was man das starke anthropische Prinzip nennt. Das hätten natürlich ebensogut z.B. auch die Saurier vor hundert Millionen Jahren behaupten können, als sie die Erde beherrschten. Völlig abgesehen davon, daß nur ein intelligentes Wesen Zwecke setzen kann, liegt nicht sowieso der Schluß viel näher: nur wenn wir sehr sorgfältig auf die komplexen und empfindlichen Bedingungen unserer Existenz achten und sie erhalten, kann auch die menschliche Spezies überleben. Man könnte zur Unterscheidung dies das holistische anthropische Prinzip nennen. Doch ich denke, daß das anthropische Prinzip selbst schon diesen unaufhebbaren Zusammenhang zwischen dem Zustand der Welt und der Existenz forschender Menschen zum Ausdruck bringt, der eben ernst zu nehmen ist.


aus: (II/5a) Parmenides im Klartext

Wie der Beutegreifer "Mensch" als Kind lernen muß, Mein und Dein zu unterscheiden, will er mit seinesgleichen in Frieden leben, so muß er als Erwachsener durch liebende Hinwendung an das Nicht-Ich lernen, Schein und Sein zu unterscheiden, um mit der Welt dieses Planeten Frieden schließen zu können. Denn der Schein ist dasjenige, mit dem er sich die Welt nach eigenen Erfordernissen geistig angeeignet hat und auf den hin er mit ihr selbstbezogen umgeht.

So ist die Frage nach dem Seienden alles andere als eine akademische Frage sondern sie hat entscheidend zu tun mit den Fragen, was es heißt "Mensch" zu sein und wie wir mit dem Seienden umgehen müssen, um die Zukunft des Menschengeschlechts zu sichern. Ich denke, wir nehmen entweder unsere Verantwortung für unser Denken, Reden und Tun wahr oder wir werden am unkontrollierten Egoismus scheitern.


aus: (II/7) Das Gehirn und sein Ich. Eine notwendige Klärung

Hinzu kommen muß aber noch die Erkenntnis: Alles Wissen, alles kluge Denken und Reden, alle hohe Moral und ausgefeilte Ethik - ebenso wie aller edle Humanismus und aller gottesfürchtige Glaube - sind für den Erhalt dessen, was wir "Schöpfung" nennen und was Grundlage unseres Existenz ist, zu dem auch die Freude an ihr gehört, vergebens, wenn es uns zugleich an bedingungsloser Liebe zu ihr gebricht. Wer nicht mitleidet, wenn Natur zerstört wird, und sei es "nur" das Gehirn von Rindern, weiß nicht, daß er ein Teil von ihr ist, weshalb jede Zerstörung unvermeidlich auf ihn zurückschlägt. Ohne die Liebe zu allen Belebten und Unbelebten, die der Mitwelt auf ihre Art zurückgibt, was menschliches Leben ihr zwangsläufig nimmt, wird die Geschichte des menschlichen Egos in seiner kalten vermeintlichen Objektivität nur ein verschwindendes Dasein haben, noch bevor es geschafft hat, sich von seinem beutegreiferischen Erbe zu emanzipieren. Die Irrtümer des Menschen, der seine intellektuellen Fähigkeiten nur für seinen Egoismus, nicht aber für eine aufgeklärte Selbststeuerung einsetzt und seine Macht und Zahl selbstverantwortlich beschränkt, macht den Menschen zum Irrtum der Evolution. Diesem könnte er nur begegnen, wenn es dem Ich gelänge, die blinden Antriebe des Gehirns und seine Hybris, gerade auch unter Wissenschaftlern, denen alles Tote und Lebende ganz selbstverständlich zur Verfügungsmasse gerät, in den Griff zu bekommen.

Dann - nur dann - würde aus dem selbstgerechten Gespann zweier Blinder
(dem Gehirn und seinem Ich)
ein aufgeklärtes Ich mit seinem Gehirn.


aus: (III/1) Das Ende der Paradigmen und Theorien

Das ganz selbstverständliche Aneignen des Fremden durchzieht auch die menschliche Geschichte, gipfelnd in der Kolonisierung fremder Völker, mit allen schrecklichen Folgen für sie und ihre Kultur. Und es hat eine übermächtig gewordene Menschheit das Umweltproblem beschert. Um die Schöpfung nicht bis zur Erschöpfung zu strapazieren, ist es für die globale Menschheit und Wirtschaft unabweisbar geworden, Nehmen und Geben wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, also unsere, sich den Planeten aneignende Strategie zu bedenken und die immer behauptete Angepaßtheit des Lebens tatsächlich herzustellen. Die fast unausrottbare falsche Rede - vom Leben als einem Prozeß der Anpassung -, verdeckt in fataler Weise die tatsächlich vorhandenen Defizite für ein dauerhaftes Überleben der Menschheit.

Aber Leben ist kein Prozeß der Anpassung sondern der Überwältigung.

Nur das Ergebnis der Selektion sich verzweigender Arten erscheint dem Beobachter im Nachhinein, als hätten die Organismen sich angepaßt. Auch hierbei schließt der Beobachter, wie sonst auch, von sich auf andere, ist doch die Taktik des Anpassens die dem schlauen Beobachter eigene Strategie des Überlebens, weshalb sie ihm so plausibel erscheint.

Die Bildung des Immunsystems in einer Welt voller aggressiver Keime und Parasiten, die Artenvielfalt als Barriere gegen sie und letztlich auch die Individualität als eine weitere Barriere, ermöglicht durch eine geschlechtliche Fortpflanzung innerhalb eines Genpools, sind die biologischen Antworten des Lebens, mit denen es sich gegen seine eigene Aggressivität zu schützen versucht. Dieses alles umfassend zu sehen ist uns aufgegeben, wollen wir nicht, wegen kurzfristiger Vorteile, die langfristige Sicherung des Standorts "Erde" verfehlen. Und der aneignende Charakter des Lebens beantwortet auch die Frage nach dem natürlichen Charakter unseres Wissens und Verstehens. Die von uns zu gebende notwendige Reaktion darauf ist die Aufklärung der Beobachterrolle. Ohne ihr Verständnis ist alles Wissen vorläufig. Daher muß es das Ziel von Philosophen und Wissenschaftlern sein, zu einer interdisziplinären Wissenschaft über die Bezogenheit aller Dinge und allen Wissens von ihnen zu kommen, unter Einbeziehung des Beobachters und seiner kognitiven Strukturen. Sie wäre eine Gesamtwissenschaft, die diesen Namen verdient und die durch Aufklärung unserer beutegreiferischen Antriebe geeignet wäre, Humanität und Kultur in einzigartiger Weise zu fördern. Wenn wir an der Schwelle zum neuen Jahrtausend innehalten und uns fragen, was wir bisher nicht erreicht haben und was daher die zukünftige wichtigste Aufgabe von Gesellschaft und Wissenschaft sein muß, so wäre es diese Vernetzung und Humanisierung unseres Wissens. Sie wäre ein Fortschreiten vom Wissen zum Verstehen, und wissenschaftlich das Ende eines bloßen Instrumentalisierens von Fakten für Paradigmen und Theorien und damit deren Ende.


aus: (III/2) Die Genese des Lebens und das Wesen des Wissens

Aber verkörpert der Mensch als unspezialisierter, d.h. unangepaßter Typ nicht selbst mit der von ihm geschaffenen Zivilisation am besten die Fähigkeit des Lebendigen, fremde Strukturen auf deren Kosten bedenkenlos in die eigene, hier die ihm gemäße zu verwandeln, was ihm mehr und mehr zu einem Problem wird, das die Rede von der Angepaßtheit allen Lebens in fataler Weise verdeckt?

Wer immer nur nimmt, braucht sich nicht zu wundern, wenn seine Hände eines Tages leer bleiben. Das Leben, als die Anverwandlung des Fremden in das Eigene auf Kosten des Fremden, ist nämlich von Natur aus "böse", wie schon das BSE-Prion deutlich macht. Was den Charakter des Lebens betrifft, dürfen wir uns keiner Illusion hingeben, denn gerade diesen "teuflischen" Aspekt gilt es in unserer heutigen Machtposition in seiner Auswirkung zu erkennen. Nichts lebt, ohne anderes sich anzuverwandeln und dabei Reste = "Abfall" auszuscheiden - im scheinbar harmlosesten Fall durch Photosynthese, die - durch den dabei frei werdenden aggressiven Sauerstoff - die gesamte Erdatmosphäre zuersteinmal vergiftete. Erst in langen Zeiträumen lernten tierische Lebewesen dann, in ihr für eine Zeit lang zu überleben (man denke nur an die Gefahr durch die "freien Radikalen") und sie zu nutzen, wobei durch ständige Zunahme des Sauerstoffs es immer wieder zur Auslöschung von Arten kam. Heute betreibt der Mensch eine zivilisatorische Anverwandlung des Planeten auf Kosten dessen, was bisher seine Lebensgrundlage war, mit ähnlich fatalen Folgen, nur daß der rückwärtsgewandte Prozeß des Sauerstoffabbaus usw. sehr viel schneller abläuft und so den vorhandenen Arten erst recht keine Zeit läßt, durch Verzweigung ausreichend lebenstüchtige Varianten hervorzubringen, sofern ihnen der Mensch überhaupt einen Lebensraum läßt. Bis er begreift und danach handelt, daß nicht einzelne Arten sondern nur Ökosysteme überleben können, könnte es leicht zu spät sein. Der Moment des größten Triumphes des Menschen über alle anderen Arten, wäre daher unweigerlich auch sein letzter Moment und es bleibt ihm dann nicht einmal mehr die Zeit festzustellen, wie wenig intelligent und angepaßt er doch war. Und das trotz, ja, eigentlich wegen seines großen Gehirns: "Die Krone der Schöpfung" verschlingt in ihrer unermeßlich gewordenen Fähigkeit der Instrumentalisierung des Fremden die Schöpfung selbst.


aus: (III/8) Gott und die Welt oder: Die Würde der Dinge

Die innere Logik des durch Wissenschaft gesicherten wahren Kerns des Gottesgedankens geht verloren, sobald man so leichthin sagt und sich dabei vielleicht noch besonders religiös vorkommt, daß Gott die Welt "aus dem Nichts" erschuf. Es wird dabei aber nicht nur die Logik aufs tiefste verletzt, sondern, schlimmer noch, es wird das Unerschaffbare und Schöpferische als von der Welt getrennt behauptet.

Wer so gedankenlos über das Verhältnis von Gott und Welt redet und Gott dabei der Welt so unähnlich macht, daß er dann den Teufel braucht, um die Weltläufe zu verstehen, entgöttlicht die Welt und macht sie zu einer nichtswürdigen, berechenbaren Verfügungsmasse. Der unheilige und unkluge Umgang mit einer solchen Welt braucht dann niemand zu wundern.

So wäre gerade das von der Wissenschaft herausgefundene Wissen, gipfelnd in den Erhaltungssätzen, wenn wir es recht bedenken geeignet, den Dingen jene Heiligkeit zurückzugeben, die religiöse Institutionen in ein Jenseits verlagert haben. Das Respektieren der Menschenwürde kann da nur der Anfang einer neuen Haltung sein. Nur eine respektierte Erde mitsamt ihren respektierten Geschöpfen ist auf Dauer in der Lage, uns zu erhalten. Wer den Quellen des Lebens ohne Achtung begegnet, dem werden sie versiegen. Oder um mit einem Zeitgenossen des Parmenides zu sprechen, der ein genügsames Leben im Einklang mit dem Sein lehrte, denn Sein ist sich selbst genug: "Wer das Leben nicht ernst nimmt, dem wird es seinen furchtbaren Ernst zeigen." (Laotse) Es geht hier also um die Frage nach dem Grund-Satz des Überlebens der Schöpfung, wie sie sich täglich dringender stellt.

Der Text (III/11) Der Weg zum Humanum rundet die vorgenannten Aussagen ab.

Kommentar
Wie die Welt selbst, so bedarf eine holistische Ethik zu ihrer Begründung keines außerweltlichen Schöpfers. Der Blick auf das Ganze und unserer Situation in ihm genügt, um einem intelligenten Menschen klar machen zu können: nur eine von Liebe zu allen Belebten wie Unbelebten getragene Verantwortung für alles Denken, Reden und Tun kann das Überleben der Menschen auf dieser Erde sichern. Die Menschheit hat in ihrer Geschichte noch nie eine größere Verantwortung gehabt. "Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt." (Albert Schweitzer) "Und was Lebensgrundlage ist", wie zu ergänzen wäre. Diese Herausforderung gilt es anzunehmen und sie in Politik, Wissenschaft und Alltag umzusetzen. Da ist jeder Einzelne gefordert. Um seine Einsicht und Bereitschaft ist zu ringen. Auf die Worte einer außerweltlichen Instanz zu warten oder sich fatalistisch zu verhalten heißt, sich vor der eigenen Verantwortung zu drücken.

An einer holistischen Ethik ist nichts, was man nicht begreifen könnte, wenn es einem nicht an guten Willen fehlt. Größter Anstrengungen könnte es jedoch bedürfen, den Egoismus seines eigenen Denkens und Tuns einzusehen und sich der Welt - nicht nur einzelnen Menschen oder den Menschen als Gattung - in Liebe zu nähern: leben wir doch von ihr. Jede Ethik, die nur auf das Wohl von Menschen oder, wie neuerdings, etwas erweitert, auf das Wohl der Primaten abstellt, ist heute, in einer globalen Welt, kurzsichtig und eine Fortsetzung unseliger Selektionen der Vergangenheit.

Bedenkt man die mächtige beutegreiferische Natur des Menschen, so wird verständlich, daß Moses die von seinem Volk zu seinem inneren Frieden einzuhaltenden ethischen Gebote nicht einfach mit seiner eigenen Weisheit begründen konnte, sondern sich auf die höchste Autorität berufen mußte, um den Geboten Respekt verschaffen zu können. Doch in den Händen von Priestern und Völkern wurden Religionen und ihre Gebote selbst wieder zu mächtigen Waffen, welche die Überwältigung anderer Volksgruppen und Völker zu legalisieren schien. Das Zeitalter der "heiligen Kriege" und der Verfolgung Andersgläubiger ist noch längst nicht zu Ende. Deshalb ist es so wichtig, Ethik ehrlicherweise mit dem langfristigen eigenen Nutzen am friedlichen Zusammenleben von Menschen, Völkern und ihren Biotopen zu begründen.

Lehrte Jesus noch: Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst, und mit "deinen Nächsten" die Mitmenschen meinte, so müßte er heute, 2000 Jahre später, lehren: Liebe deine Mitwelt, denn sie ist ein Teil deines Selbsts. Das ist zwar auch eine Art von Eigenliebe, ohne die es offenbar nicht geht. Während wir den Horizont unserer Liebe erweitern sollten, würde ich jedoch für die Feindesliebe, die Jesus ebenfalls predigte, eine Einschränkung machen. Wie wir gesehen haben, ist das Leben, infolge seines nicht aufzuhebenden aneignenden Charakters, von Natur aus "böse". Den Feinden, die ein Leben oder eine Lebensgemeinschaft bedrohen, muß man selbstverständlich Einhalt gebieten, aber natürlich mit Maß und Ziel. Es kann also nicht darum gehen, Böses einfach hinzunehmen. Jedes Lebewesen wehrt sich, so gut es dies kann. Es ist sein gutes Recht. Doch sollte uns kein Lebewesen zu gering sein, um es zu achten. Wenn jemand ein Insekt, das sich in seine Wohnung verirrt hat, ohne ihm schaden zu wollen, erschlägt, statt es nach draußen zu leiten, sollte er besser der Jesusworte gedenken: "Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!" Denn Bruder ist alles, was da fleucht und kreucht. Alles ist EIN Leben, das sich nur vielfach verzweigt hat. Und jedermann sollte sein Bewußtsein so schärfen, daß er Schmerz empfindet, wenn Natur unnötig bedrängt oder gar zerstört wird. Zur Würde des Menschen gehört für mich, daß er fähig ist, die Dinge um ihrer selbst willen zu lieben und zu respektieren, als den Widerschein der großen Schöpferkraft, der auch er sein Dasein verdankt.

Das kann ja wohl nur ein sehr egoistisches Gottesverständnis sein, das glaubt, daß Gott aus Liebe "zu den Menschen" auf einer fernen kleinen Erde, in einem Winkel des Universums, seinen Sohn ans Kreuz schlagen ließ, auf das es den Menschen wohl ergehe und sie erlöst werden, die ganze übrige Schöpfung dort aber ohne Mitleid der menschlichen Disposition überlassen hätte - auch wenn es dem Menschen so scheinen kann, daß die Macht, die er ausübt, ihm von Gott verliehen wurde. Aber muß man da nicht fragen: Kann die Macht das einzige Argument sein? Wurden dem Menschen nicht ebenso Gewissen, Herz und Vernunft verliehen, auf daß er sie gebrauche? Wem "das Leben" angeblich ein so großes Gut ist, daß ihm selbst Stammzellen sakrosankt sind, wohlgemerkt aber nur menschliche! der müßte auch für das Leben jeglicher Kreatur streiten (von Krankmachern natürlich abgesehen), wenn er glaubwürdig sein will. Wer jemals im Fernsehen Bilder einer barbarischen Massentierhaltung gesehen hat und wie die Regenwälder, die Heimat vieler Arten, um des Profits einiger Menschen wegen abgeholzt werden, und wie ausufernde Megastädte jegliche Landschaft unter sich begraben, ohne daß die sonst so lautstarken Kämpfer für das Leben dagegen ihre Stimme erheben, der kann begreifen, was es heißt, daß "die Krone der Schöpfung" in ihrer unermeßlich gewordenen Fähigkeit der Instrumentalisierung der Mitwelt die Schöpfung selbst verschlingt - und am Ende natürlich auch sich. Was ist für die Schöpfung der Mensch da anderes, als die Krankheit dieser Erde? "Die Naturkatastrophe Mensch", wie sie H. Mohr und F.M. Wuketits genannt haben? Und das soll der Wille eines gerechten Gottes sein? Ist er denn über seine Liebe zu den Menschen blind geworden gegenüber der Not der anderen Geschöpfe? Was können Tiere und Pflanzen dafür, daß sie nicht als Menschen geboren wurden? Müßte nicht eher die nichtmenschliche Kreatur aufschreien und fragen: "Gott, warum hast du mich verlassen? Was habe ich dir angetan?" Für die irdische Schöpfung ist ein von Menschen ausgeübter Schutz der Mitwelt schon längst zur Schicksalsfrage geworden, weshalb wir uns nicht auf fromme Sprüche aus fernen Zeiten verlassen können, sondern hier und heute unser Herz und unsere Vernunft sprechen lassen müssen, um zu einer aufgeklärten Selbststeuerung zu kommen, die allen ein ihnen angemessenes Überleben sichert. Ethos und Würde des Menschen erweisen sich vor allem am Umgang mit jenen, die seines Schutzes bedürfen. Nach der holistischen Ethik ist es eben "Sünde", d.h. Absonderung, sich nicht als Teil des Ganzen zu sehen und seine Verantwortung für es zu übernehmen. Ich denke, das ist es, was Laotse uns mit dem Begriff des TAO lehren wollte. Und wer unbekümmert fortgesetzt "sündigt", d.h. das TAO nicht beachtet, wird letztlich aus dem Ganzen herausfallen und verdorren. Daher ergibt sich das Sollen aus dem (Eingebunden-)Sein.

Es ist an der Zeit, für eine andere Lebensqualität zu werben. Nicht mehr die Anhäufung materieller Güter und die Befriedigung immer neuer Egotrips darf das Ziel sein, sondern - bei einer Grundversorgung mit allen überlebenswichtigen Gütern - das Erschließen der Innerlichkeit, um so die Fülle des Seins zu erfassen. Laotse beschrieb dieses erstrebenswerte Ziel im fünften Spruch des Taoteking so:

Das Allumfassende kennt keine Einzellieben
Sich immerfort darbringend durchdringt es alles Leben.
    So auch der Vollendete:
    er kennt keine Einzellieben.
    sich immerfort darbringend
    durchdringt er alles Leben.
Das Allumfassende gleicht einem Blasebalg;
seine Leere dient seiner Fülle,
und er füllt sich, nachdem er sich ausgibt.
    So auch der Vollendete:
    dadurch, daß er sich aufschließt,
    kommt er zur Fülle.
(nach Carl Dallago/Laotse/Der Anschluss an das Gesetz/Verlag Lambert Schneider Heidelberg)

Auf dem Unitariertag von 2001 in Weinheim ist Prof. Dr. Hans-Dietrich Kahl vom Geistigen Rat der Unitarier zu mir gekommen, um mir persönlich zum Artikel zu gratulieren.


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