Geschichte als das Geschichtete


Ich habe einmal einen Kabarettisten sagen hören, die Geschichte besteht aus den Geschichten, die uns überliefert sind, z.B. die von Cäsar und Kleopatra oder von Napoleon und Josephine. Ja, vielleicht wäre ohne diese Techtelmechtel die europäische Geschichte tatsächlich anders verlaufen, wie ja überhaupt die Liebe eine starke Triebfeder ist. Aber es gibt da noch andere Kräfte und je nachdem, welcher man zuneigt, wird die Geschichte gesehen. So sind für Theologen Gottes Ratschlüsse die Triebfeder der Geschichte, für idealistische Philosophen sind es die ewigen Ideen, die sich verwirklichen wollen, für Materialisten die ökonomischen Verhältnisse des Kollektivs, die dem Ziel der klassenlosen Gesellschaft zusteuern. Nun haben aber nicht nur wir Menschen eine Geschichte. Mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaftler wuchs immer mehr die Einsicht, dass alles, was existiert, seine Geschichte hat, in der Geologie ist das Geschichtete die Geschichte schlechthin. Und seitdem man die Geschichte des Lebens besser kennt, wird das Alter von geologischen Schichten anhand ihrer Fossilien bestimmt.

Auch das Universum selbst hat seine Geschichte, wie man heute weis, und ist nicht die einmalige Tat eines Schöpfers in 6 Tagen vor etwas mehr als 6000 Jahren, wie ein frommer Bischof errechnet hatte. Weil die Geologie mit ihren Schichten für jedermann sicht- und nachvollziehbar das Geschichtliche der Erde bezeugt, das man am besten im Grand Canyon des Colorado mit seinen Ablagerungen aus 1,8 Milliarden Erdgeschichte sieht, wurde gerade in einigen Staaten von Nordamerika von christlichen Fundamentalisten neben der Darwinschen Evolutionslehre auch noch die Geologie als Schulfach verboten und ist es vielleicht auch heute noch, wie überhaupt der Fundamentalismus in der Welt zunimmt, weil immer mehr Menschen sich einfache Erklärungen wünschen.

Während die sehr alte und große Familie der Quallen ohne Gehirn auskommt und trotzdem oder gerade deshalb (?) Chancen hat, alle anderen Arten im Meer zu überleben, ging die Geschichte der meisten höheren Arten mit der des Gehirns parallel. Das menschliche Gehirn selbst ist ein Beleg für die Geschichtlichkeit der Lebewesen und ist als ein sehr konservatives Organ entsprechend geschichtet. So gibt es als altes Säugetiergehirn in ihm aufeinander aufbauend ein Stammhirn, ein Kleinhirn, ein Mittel- und Zwischenhirn, welche vorwiegend die Körperfunktionen steuern. Bei den großen Säugetieren und den Primaten, zu denen auch wir gehören, kommt zum Endhirn noch die Großhirnrinde dazu, welche für die besonderen kognitiven Fähigkeiten sorgt. Aber auch die Skelette der Wirbeltiere ebenso wie ihre Gene haben viele Gemeinsamkeiten und bezeugen die geschichtete Geschichtlichkeit des Lebens. Es ist also "viel Tier im Mensch oder viel Mensch im Tier, wie man will", wie der Biologe Hubert Markl einmal sagte. Wollen wir die Welt, das Leben und die Menschen besser verstehen, kommen wir nicht ohne die Kenntnis ihrer Geschichte aus. Auch der einzelne Mensch wird in seinen Intentionen am besten aus seiner Biografie und Abstammung heraus verstanden oder wie Rilke, sich mit den Bäumen vergleichend, dichtete: "Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen", wo einer immer die Grundlage des nächsten ist - aber die neueren Erfahrungen mitnehmend und daher eben auch etwas anders.

Philosophische Sentenz des Monats August 2010 auf www.museumsart.de (Jahrgangsarchive neben dem aktuellen Text)


Scan H.Hille
Gruß vom Weinberg


Etwas Geologie als Heimatkunde

Eine Million Jahre Erdgeschichte

Der Heilbronner Keuperweg
und Bilder von den Weinbergen


Eine Million Jahre Erdgeschichte liegen am Geologie-Lehrpfad "Heilbronner Keuperweg" im Osten der Stadt offen vor uns. Die Keuperschichten bilden die Grenze zwischen Weinberg und Wald. Sie stammen aus dem Erdmittelalter (Mesozoikum) vor ca. 225 Millionen Jahren, als der Wechsel von Überschwemmung und Trockenheit in großen Senken eine Schicht nach der anderen erzeugte. "Nirgendwo in Nord-Württemberg sind diese Gesteinsschichten, ihre Verbindung und ihre Geschichte besser kennen zu lernen als hier."* Aber auch bei anderen Heilbronner Weinbergen, wie ich unten zeige. Die oberen Schichten werden aufgrund der in ihnen vorkommenden Estherien - das sind kleine Krebse mit einem zweiklappigen Gehäuse - Estherienschichten genannt. Die darüber liegende Sandsteinschicht hat diese eher lockeren Schichten vor der Erosion bewahrt und so für die Berge gesorgt, die Heilbronn von drei Seiten umgeben und schützen und die Grundlage des hiesigen Weinbaues bilden. Dieser fälschlich "Schilfsandstein" genannte warmgelbe Stein gilt als ursprüngliches Baumaterial der Stadt Heilbronn, wovon Heilbronns schönste historische Bauten zeugen, und war darüber hinaus jahrhundertelang auch im In- und Ausland sehr geschätzt. Die Stadt war damals im doppelten Sinne "steinreich". Der Schilfsandstein bildet eine massige einheitliche Schicht bis 27 m Stärke (Information im Steinbruch: bis 35 m). Direkt am südlichen Beginn des Keuperweges liegt der Eingang zum ehemaligen, seit 1972 unter Naturschutz gestellten aufgelassenen Schilfsandsteinbruch, wo an heißen Sommertagen neben dem Schatten der Wände und Bäume verdunstendes Sickerwasser für angenehme Kühle sorgt, im kühlsten Bereich von mir gemessen bis 7º kühler, bei 28º im Eingangsbereich. - Seit 1883 ist Heilbronn auch eine Bergbaustadt. In ca. 200 m Tiefe wird Steinsalz abgebaut und in 2 Schächten gefördert. Das mächtige Steinsalzlager stammt aus dem Mittleren Muschelkalk, den Schichten unterhalb des Keupers. Dank der es begünstigenden Geologie bleibt Heilbronn also auch ohne Schilfsandsteingewinnung weiterhin nicht nur weinreich, sondern auch steinreich und hoffentlich weiterhin von Bergschlägen verschont, wie ich sie aus meiner Heimat kenne (s. die nachfolgende Datei). *Entnommen dem Faltblatt "Der Heilbronner Keuperweg" der Stadtinformation Heilbronn. Dort erhältlich.
      Nachtrag: An der südlichen Stadtgrenze und teilweise auch auf Heilbronner Gebiet befindet sich heute ein riesiger Steinbruch, in dem eine Firma aus dem Nachbarort Talheim Gesteine aus dem Oberen Muschelkalk abbaut und daraus Gesteinsmehle, Sande, Splitte und Schotter gewinnt. Die Schicht ist bis 60 m mächtig und der Steinbruch entsprechend eingetieft. Als Steinbruch in der Tiefe liegt er völlig unauffällig in der Landschaft, weshalb wahrscheinlich auch nur wenige Heilbronner ihn bisher gesehen haben, obgleich die B27 Richtung Lauffen unmittelbar an ihm vorbeiführt.
Materialinformationen entnommen von www.bmk-steinbruchbetriebe.com

Foto H.Hille
Keuperschichten über Verwitterungsschutt

Foto H.Hille
Grenze Estherienschichten/Schilfsandstein (rötlich)

Foto H.Hille
Schilderwald am nördl. Eingang zum ehem. Steinbruch

Wie ich jetzt von meinem Ostfenster aus feststellen konnte, befindet sich in der Lücke zwischen Weinberg und Wald eine besonders große rötliche Bank aus Keuperschichten. Bei dem hellen Fleck im mittleren Bereich der Bank handelt es sich um den Schilfsandsteinblock der 2. Aufnahme. Der graue Fleck links, mir genau gegenüber, ist die überdachte Aussichtsplattform der Ludwigschanze, die man 3. Bild sieht, von der aus ich die beiden darauf folgenden Aufnahmen von den Weinbergen machte, wobei der Himmel sich schnell zuzog. Es folgt dann noch ein Blick hinter die Heilbronner Kulisse mit einer - wie ich denke - besonders gelungenen Aufnahme.

Foto H.Hille
Blick aus dem Ostfenster meiner Wohnung (neueres Bild s. (L5a)

Foto H.Hille
Keuperbank gegenüber mit Schilfsandsteinblock

Foto H.Hille
Aussichtspunkt Ludwigschanze links über der Keuperbank

Foto H.Hille
Heilbronn im Weinberg, Blick nach Nordwesten, rechts der Wartberg

Foto H.Hille
Blick von der Ludwigschanze nach Süden auf den Heilbronner Staufenberg

Foto H.Hille
Blick hinter den Staufenberg: von mir "Fleiner See" genannt
amtlich "Leberbrunnensee" - ein kleines Fischwasser, auch dem Hochwasserschutz dienend

der Ginkgo, ein lebendes Fossil aus dem Erdaltertum (Perm) - Scan H.Hille
gibt es in Heilbronn immer mehr



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