Physik seit Einstein - 69. Jahrestagung der DPG / TU Berlin 2005 - großer Hörsaal der Physikalischen Chemie
AK Phil 5.1 (1. Referat)
Zeilinger und die Entdeckung des Subjekts
Kommentar zu Zeilingers Buch "Einsteins Schleier. Die neue Welt der Quantenphysik."
MOTTO
Wahrnehmungen können nicht ohne den Wahrnehmenden verstanden werden.Abstract
Grundlage des Referats ist Anton Zeilingers 2003 erschienenes Buch "Einsteins Schleier. Die neue Welt der Quantenphysik", in dem Zeilinger versucht, die allgemeinste Basis der Quantenphysik zu finden. Mein Anliegen ist es, die speziellen Fragen des Forschungsgebiets in allgemeine Fragen der Erkenntnistheorie einzubetten und so das Blickfeld zu erweitern. Letztlich sehe ich in der Quantenmechanik seit den Tagen Niels Bohrs eine Abkehr vom aneignenden objektivistischen Paradigma der Forschung, hin zu einer Respektierung des Subjekts der Dinge, wovon die Unschärferelation nur ein Teilaspekt ist. Denn wenn man es genau nimmt - und das sollte man eigentlich immer - gibt es gar keine Objekte sondern nur Subjekte. Erst der Mensch, der sich der Dinge bemächtigen will, macht sie durch sein Beobachten und Einwirken zu Objekten, indem er Eigenschaften in Form physikalischer Größen an sie heranträgt und probiert, wie weit sie ihm hilfreich sind. Deshalb ist es falsch zu sagen, dass sie diese Eigenschaften auch ohne menschliches Einwirken hätten. Genau diesen Vorgang versucht Zeilinger verständlich zu machen.
Natürlich gibt es eine vom Beobachter unabhängige Realität,
aber natürlich nur solange, wie sie nicht beobachtet wird.
Trotzdem ist es wichtig, die zielführende Idee einer beobachterunabhängigen Realität beizubehalten,
ist es doch gerade sie, die uns nach der Rolle des Beobachters fragen lässt.Referat
Die Quantenphysik sehe ich dadurch charakterisiert, dass sie alles sehr genau nimmt und äußerst sorgfältig bedenkt. So pflegt sie einerseits einen vernünftigen Positivismus, der Aussagen zu Unbeobachtbarem unterlässt, um nicht in Spekulation zu verfallen, andererseits versucht sie, die Rolle des Beobachters zu bedenken, die jedoch nicht leicht aufzuklären ist, fehlt es uns dazu doch an der nötigen Distanz. Im Zuge dieser Sorgfalt kam es zur Formulierung der Unschärferelation durch Heisenberg, die von den Objektivisten fälschlich als eine Unschärfe der Quanten verstanden wird. Doch sie ist eine Unschärfe des Wissens, das an eine seiner Grenze gestoßen ist, was Deterministen immer noch nicht hinnehmen wollen. Ihnen fehlt es einfach an der Einsicht oder Akzeptanz, dass das Universum ein Subjekt ist und dass nur wir es sind, die immer versuchen, es zum Objekt geistiger und materieller Operationen zu machen, ohne uns um sein Sosein jenseits unserer Operationen zu kümmern. Die Quantenphysik ist für mich die Entdeckung des Subjekts der Natur, eine Entdeckung die für die Menschheit immer wichtiger und dringender wird. Nur wenn wir dieses Subjekt in seinem Fürsichsein bemerken und respektieren, werden wir angehalten sein, mit ihm pflegsam umzugehen, was wir das Umweltproblem nennen. Doch es ist kein Problem der Umwelt, sondern ein Problem unseres Charakters in der männlichen Ausprägung, darauf aus, alles sich aneignen zu wollen, was mit der wachsenden Zahl der Menschen und ihrer wachsenden Fähigkeit, alles Sein zu instrumentalisieren, es mehr und mehr zu bedenken und zu zügeln gilt.
Schon wenn wir Phänomene benennen, beginnen wir, sie uns anzueignen. Sprache verleiht Macht über das Gemeinte. Die Dinge sind eben für uns nicht das, was sie sind, sondern das, was wir aus ihnen machen. Es funktioniert ja auch nur so. Und weil es funktioniert, sind wir von der Objektivität unseres Vorgehens überzeugt. Das ist ein Irrtum, wie zuerst die Quantenphysik gezeigt hat und wie wir es heute auch in der Umweltproblematik bemerken. Mit dem Subjekt Mensch zu rechnen und sein Operieren ins Kalkül zu stellen, ermöglichte es gerade erst, sich dem Subjekt "Universum" und somit auch dem Subjekt des Teilchens zu nähern. Poppers "objektive Erkenntnis" ist da vergebens, weil es von sich aus weder Objekte gibt, noch ein erkennendes Objekt existiert. Nur lebendige Wesen sind zur Kognition fähig - und die ist ihnen nur im Rahmen ihrer persönlichen Verständigkeit möglich. Das ist eine Selbst-Verständlichkeit, denn nur wenn es nicht so wäre, bedürfte dies einer Erklärung. So kommen wir nicht umhin, sowohl das Subjekt Natur, als auch das Subjekt Mensch zu bedenken und zu respektieren, wollen wir von einem bloß instrumentalistischen männlichen Herrschaftswissen weg zu einem tieferen und eher weiblich-einfühlsamen Verständnis der Dinge kommen.
Zeilinger meint gleich eingangs seines Buches "Einsteins Schleier" solche kritischen Überlegungen hätten etwas damit zu tun, dass die Objekte der Quantenphysik "sehr, sehr klein sind" und versucht mit diesem Umstand dem Leser die Probleme der Quantenphysik verständlich zu machen. Aber die Problematik ist ganz allgemeiner Art, nur dass die außerordentliche Kleinheit der Objekte es nötig machte, die bis dahin gar nicht oder zu wenig bedachte mentale und materielle Rolle des Beobachters zu bedenken. "Zu den Leuten, die behaupten, dass es Dinge gäbe, deren Eigenschaften und deren Existenz davon abhängt, ob wir hinsehen und wie wir hinsehen" (Zeilinger) gehörte bereits Protagoras (480 - 410 vor unserer Zeitrechnung), der schon in der Antike vor dem Irrglauben einer natürlichen Objektivität des Menschen warnte, indem er in seinem berühmten "Homomensura"-Satz das sinngemäß Selbe wie folgt aussprach (von mir hier ergänzt, um gleich ersichtlich zu machen um was es geht): "Der Mensch ist (sich) das Maß aller Dinge, der seienden, dass (und was) sie (für ihn) sind, der nichtseienden dass (und was) sie (für ihn) nicht sind." Die empfangenen Daten sich aneignend, bringt jeder seine Sicht der Welt hervor. Andere Menschen und andere Lebewesen haben dann naturgemäß eine andere Sicht bzw. Welt. Das mit dem "Maß" bei Protagoras dürfen wir dabei ganz wörtlich nehmen, denn alles Wahrnehmen ist ein Messen. Und alles Messen ist ein Vergleichen. Der Mensch misst dabei zuersteinmal alles an sich selbst, z.B. die Temperatur an seinem Wärmeempfinden, wozu weder die Existenz eines Wärmestoffs, noch die einer Sache "Temperatur" nötig ist. Trotzdem ist in der Physik die Temperatur heute eine der wichtigsten, uns Verständnis gebenden Größen. Das wissenschaftliche Messen ist da nur die Verfeinerung und Objektivierung der gewöhnlichen Wahrnehmung und ggf. ihre Erweiterung durch Instrumente.
Die Begründer der Quantenmechanik haben also lediglich eine sehr alte Weisheit wieder entdeckt, dass wir von den Dingen primär nichts wissen, sondern nur für uns nachvollziehbare und interessante Aspekte an sie herantragen und probieren, wie weit sie zur Bewältigung unserer Probleme hilfreich sind. Die Aspekte der Physik sind physikalische Größen, die wohldefiniert sein müssen. Auch für den Physiker gilt: Jeder bestimmte Zustand ist durch einen Beobachter bestimmt - nämlich durch die von ihm verwendeten Definitionen und Messmittel, ohne die wissenschaftlich nichts als bestimmt gelten kann. Da steht niemand vor oder hinter dem menschlichen Bestimmer, der ihm das abnimmt, weshalb seine Arbeit stets der größten Sorgfalt bedarf und umfassend bedacht werden muss! Daher mein Motto: Wer nicht das Ganze bedenkt, bedenkt zu wenig!
Trotz ihrer großen und unstrittigen Erfolge sind Quantenphysiker immer wieder genötigt, ihr Spezialfach zu verteidigen, so auch Zeilinger, gerade auch gegenüber Kollegen, weil das Verhalten der Quanten nicht deren gewohnter Denkweise entspricht. Ein wesentlicher Punkt ist dabei, dass es unüblich ist, die eigene Rolle beim Forschen zu berücksichtigen und viele Physiker darüberhinaus auch aus ideologischen Gründen eine solche Rolle bestreiten, weil sie eine autonome Rolle des Geistes bedeutet, für die in ihrem rein materiellen Weltbild kein Platz ist. Der eifrigste Bestreiter war der Objektivist Albert Einstein, der Niels Bohr jahrelang mit immer neuen Gedankenexperimenten traktierte. Wenn der bekannte amerikanische Physiker Richard Feymann in neuerer Zeit glaubt, "dass heutzutage niemand die Quantenmechanik versteht", so darf man sich von einer solchen Rede nicht irritieren lassen, weil hier mit "verstehen" eine Interpretation der Quantenphänomene in gewohnter objektivistischer Sicht gemeint ist. Doch es ist schlicht eine Illusion, dass es keine Beobachterrolle gibt. Eine Selbst-Verständlichkeit ist dagegen, dass wir nur durch Beobachtung und deren Interpretation von der Natur wissen können und dass daher unvermeidlich der Beobachter in jedem Wissen präsent ist, wie auch Zeilinger nicht müde wird zu zeigen.
Ich halte es für sehr unklug, diese Rolle zu bestreiten, ist doch schon der "Ort" eines Teilchens die Zugabe eines Beobachters, während das Teilchen selbst, wie jeder tote Körper, nichts von Ort und Zeit wissend, lediglich in seinem Zustand verharrt, wie bereits Newton in seinem 1. Axiom klar zu stellen versuchte. Daher kennt es auch keine Bewegung, weil der Eindruck der Bewegtheit sich erst durch den Wechsel des Ortes ergibt, was sowohl ein vergleichendes Gedächtnis voraussetzt, als eben auch die Orte, zu denen hin der Beobachter die Dinge in Beziehung setzt. Hierzu spannt er ein "Bezugssystem" auf, mit welchem er den Dingen jene Eigenschaften verleiht, die dieses hergibt, neben einer Richtung z.B. die Eigenschaft der Bewegung und ihrer Geschwindigkeit. Ohne ein Bezugssystem gibt es diese Eigenschaften nicht! Dazu Heisenberg: "Die Bahn eines Teilchens entsteht erst dadurch, dass wir es beobachten." Nämlich im Gedächtnis des Beobachters entsteht sie durch die Aneinanderreihung der bemerkten Orte, zuerst zu einer Linie bzw. Kurve, dann zu einer Bahn - die dann als Beschreibung der Beobachtung dient, die aber genau genommen eben keine Beschreibung der Sache ist. Bereits Parmenides und die eleatische Denkschule vertraten diese Position, wie uns Sextus Empiricus berichtet: "Dass sie, die Bewegung (als eine objektive Eigenschaft des Bewegten), nicht existiert, behaupten Parmenides und Melissos und ihre Anhänger, die Aristoteles die 'Stehenmacher' und die 'Nichtnaturforscher' nennt." Wie man sieht, hatte Aristoteles nicht verstanden, um was es den Eleaten ging, nämlich darum, Schein und Sein zu unterscheiden. Ob nun Heisenberg und die anderen Protagonisten der Quantenphysik das Problem wirklich verstanden oder nur bemerkt haben, weiß ich nicht, spricht Zeilinger doch in seinem Buch von der Geschwindigkeit und damit auch von der "Bewegung" immer so, als ob sie doch die Eigenschaft einer Sache und nicht die Leistung eines Beobachters ist, der sie relativ zu einem Bezugssystem bestimmt, welches daher vorliegen und genannt werden muss, soll eine Aussage zur Geschwindigkeit Sinn machen, d.h. geistig nachvollziehbar sein. Merke: Jeder bestimmte Zustand ist durch einen Beobachter bestimmt. Jeder, ohne Ausnahme! Oder wie Bohr es sagte: "Die Werte (aber auch die Eigenschaften) entstehen erst durch die Messung." Aber wodurch sie entstehen ließ er wohl offen. Das aber ist hier gerade das Thema!
Zeilingers eigentliches Anliegen ist es, die allgemeinste Basis der Quantenphysik zu finden, wozu ihm der Begriff der "Information" geeignet erscheint, mit dem er sich in der zweiten Hälfte seines Buches verstärkt auseinandersetzt. Ein Manko ist da gleich, dass er den Begriff der "Information" nur auf der Ebene der Bits definiert, als Ja-Nein-Antworten auf unsere Fragen, wobei er ferner nicht zwischen Daten und Informationen unterscheidet, auch wenn beide auf der untersten Ebene sehr eng beieinander liegen. Wie die moderne Computerwelt zeigt, kann zwar alles Wissen durch Bits mit nur zwei Zuständen übertragen werden, aber zur Information wird das Übertragene für einen Menschen doch nur dann, wenn er aufgrund seiner Vorbildung und der momentanen Aufmerksamkeit es auch zu lesen und zu verstehen imstande ist. Information ist also immer etwas Geistiges, darum kann menschlicher Geist mit ihr umgehen, während Daten materieller Natur sind, die erst interpretiert werden müssen, um zur Information werden zu können. Hierzu bereits Wilhelm von Ockham: "Zum Verständnis des Gesagten muß man wissen, daß jedes Wissen sich auf einen Satz oder auf Sätze bezieht. Und so wie Sätze durch das Wissen gewußt werden, ebenso gehören die Satzteile, aus denen Sätzen zusammengesetzt sind, zum Bereich des Wissens" und nicht zum Bereich der Natur. Ähnliches sagte er über die Universalien. Auch Zeilinger zeigt auf, dass wir uns geistig immer nur mit unserem Wissen über die Welt, also mit unseren Informationen über sie auseinandersetzen können und nicht mit der materiellen, ungeistigen Welt selbst. Und indem der Autor noch weiter ausholt, kommt er zu der Einsicht, dass denkerisch kein Unterschied zwischen Information und Wirklichkeit gemacht werden kann, weil die Wirklichkeit, mit der wir geistig umgehen, unser eigenes Konstrukt ist, abhängig von der Information, die wir haben. Oder wie es der Nondualist Josef Mitterer von Universität Klagenfurt sieht: "Die Beschreibung des Objekts ist nicht unterscheidbar vom Objekt der Beschreibung!" Der Rest ist Vernunft. Natürlich gibt es eine vom Beobachter unabhängige Wirklichkeit - aber natürlich nur, solange sie nicht beobachtet wird, ist doch schon ohne unser Zutun jede Beobachtung eine Interpretation des kognitiven Apparates. Für Zeilinger entspricht die Feinkörnigkeit der Welt der Quantisierung unserer Fragen, die wir an die Dinge herantragen, worauf sie im quantenphysikalischen Experiment nur mit "Ja" oder "Nein" antworten können. "Die Quantenphysik wäre dann eine Konsequenz der Tatsache, dass die Welt der Repräsentant unserer Aussagen ist" - weil solche Aussagen wie die dazugehörenden Fragen "eben notwendigerweise 'abgezählt' auftreten", also in ganzen Zahlen. Das ist für mich die Sicht des Physikers.
Aus der Sicht des Philosophen ist die Quantenphysik die Entdeckung des Subjekts - sowohl auf Seiten der Natur, als auch auf Seiten des sie Erforschenden - beide gilt es zu respektieren und ins Kalkül zu stellen, soll sich die Natur unserem Verständnis erschließen.Das Primat der Information anzuerkennen, ist für einen Naturwissenschaftler ungewöhnlich. Doch letztlich können alle grundsätzlichen Fragen nur durch Vernunft entschieden werden, so auch die, ob es eine vom Bewusstsein unabhängige Außenwelt gibt, für die der Autor des Buches Gründe aufzeigt. Aber jene, die die Beobachterrolle bestreiten, bestreiten dann auch die Relevanz der Vernunft, schon weil sie zur Rolle des Beobachters gehört. Doch eben aus dieser bohrenden Vernunft heraus dringt Zeilinger immer weiter und weiter vor und landet schließlich bei der entscheidenden Frage "nach dem Wesen des Wissens". Wenn er dazu auf der vorletzten Seite seines Buches hofft, "dass es hier, sicher auch durch die Philosophie, zu neuen Einsichten und sogar Durchbrüchen kommt", so denke ich, liegt er damit ebenfalls richtig, ist aber eigentlich zu bescheiden, hat er doch selbst in einem großen geistigen Schwung ganz Wesentliches zur Klärung des physikalischen Weltbildes und des menschlichen Verstehens beigetragen. Wenn eine Welt hinter dem Schleier gesucht werden muss, den Einstein immer gelüftet haben wollte, dann ist dieser der Schleier des Nichtwissens um die Prämissen von Urteilen, wodurch der Urteilende ihnen ausgeliefert bleibt und von Meinungen (griechisch "doxa") beherrscht wird. Mit dem an Wittgenstein angelehnten Schlusssatz "Die Welt ist alles, was der Fall ist, und auch alles, was der Fall sein kann" entlässt uns Zeilinger in die Offenheit einer neuen Weltsicht - eine Offenheit, die ich der ganzen Physik - aber auch der Philosophie, wie überhaupt allen Menschen - von Herzen wünsche.
In der Diskussion auf Nachfrage vorgetragen:
Die Anverwandlung des Fremden in das Eigene ist die Strategie des Lebens schlechthin. Der aneignende Charakter des Lebens schlägt auch voll auf das Wissen durch und bestimmt das Wesen des Wissens: Wissen ist das Ergebnis der Anverwandlung empfangener Daten an die Verständigkeit des Beobachters, wodurch aus dieser Verschmelzung von objektiven und subjektiven Elementen zu einer neuen Einheit eine neue Wirklichkeit entsteht, die wir die geistige nennen.*
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Autor:
Helmut Hille, Heilbronn
FV DD, Mitglied des AK Phil
*Zum Thema s. insbesondere die Tagungsbeiträge unter (2) bzw. (3), gleicher Text: "Die Natur des Wissens verstehen".