Gibt es Wunder?
Sind Wunder übernatürlichen Ursprungs?
Oder ist es die Sehnsucht nach Wundern, die sie hervorbringt?
Die Sehnsucht nach transzendenten Wahrheiten
in der richtigen Erkenntnis,
dass ödes Tatsachenwissen nicht alles sein kann?
Doch ist die Tatsache, dass wir da sind,
nicht schon ein Wunder?
Ist das Leben nicht überhaupt ein Wunder?
Wissenschaftlern ist seine Entstehung noch immer ein Rätsel.
Ist nicht menschlicher Geist ein Wunder?
Und wo kommt die Sehnsucht nach einer höheren Wirklichkeit her?
Ja, ist es denn nicht ein Wunder,
DASS ÜBERHAUPT ETWAS IST?
Und ist nicht die Schwerkraft eines der größten Wunder?
Niemand hat sie je gesehen.
Niemand kann sich ihr Wirken erklären.
Und doch sie ist allgegenwärtig
und hält die größten kosmischen Gebilde zusammen.
Wie unbedeutend dagegen ist das Wunder,
wenn Menschen in einer von Erwartung aufgeheizten Menge
eine geschnitzte Madonna weinen sehen?
Spielt da die Frage,
ob sie es denn "wirklich" tut,
überhaupt eine Rolle?
Ist unsere Erwartung, unser Herz nicht einfach nur zu klein,
um das große Wunder der Existenz zu erfassen
und alle Wunder der Welt,
die mit ihr verbunden sind?
Was ist denn selbstverständlich an unserem Dasein?
Am Dasein der Dinge, an der Liebe?
Sind wir nicht einfach nur zu abgestumpft,
um das Unerklärliche als solches wahrzunehmen?
Oder haben wir uns von jenen neunmalklugen Wissenschaftlern einlullen lassen,
die herablassend so tun, als könnten sie alles "erklären",
wenn nicht heute, dann bestimmt morgen?
Sogar die Entstehung der Welt aus dem Nichts?!
Sind das in ihrer Hybris nicht auch nur Blinde?
Und war es nicht die größte Vermessenheit, als Heidegger im Sinne Schellings fragte:
"Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?"
wenn er dabei so getan hätte,
als könnte menschlicher Witz darauf eine vernünftige Antwort geben?
Oder wollte er eher auf das unhinterfragbare Wunder der Existenz verweisen?
Unser geistiger Horizont ist einfach zu eng,
wenn wir das Wunder der Welt und ihre Wunder nicht sehen.
Unser Herz zu ängstlich
diese Wunder als Wunder zu erfassen.
Angst kommt ja bekanntlich von Enge.
Müssen wir da nicht zuerst über uns hinaus wachsen?
Unser Herz, unseren Verstand weiten?
Ich denke, wir sollten es tun.
Wir sollten nicht mehr blind durch die Welt laufen
und ihre wahren Wunder nicht sehen.
Wir sollten wieder lernen zu staunen.
Wir sollten staunen,
dass alles nach unten fällt.
Wäre es plötzlich anders,
würden Sonne, Mond und Sterne auseinander geschleudert
und im Weltraum verwirbeln.
Da könnte auch keine Madonna mehr helfen.
Wir sollten staunen,
dass wir da sind und "Ich" sagen können,
was eben auch unerklärlich ist
und was wir nur akzeptieren können.
Im gleichen Sinne sollten wir einfach alles akzeptieren,
was sich Erklärungen entzieht.
Und nicht unsere Zeit damit vergeuden
Unerklärliches erklären zu wollen.
Unsere Zeit sollte uns zu kostbar sein,
um uns der faustischen Narretei hinzugeben.
Aber wenn wir uns - unser Leben, unser Ich - als ein Wunder begreifen,
für das es keine Erklärungen gibt,
dann könnte es sein, das wir
- offen gegenüber allen wahren Wundern -
anfangen, sie und uns zu verstehen.