Gottes Urknall?

Für ein Universum ohne Grenzen in Raum und Zeit


Vorträge und Abdruck s. Fußnoten


Inhalt:
1. Entstehung aus dem Nichts?
2. Brauchen wir eine "kosmische Antigravitation"?
3. Warum dehnt sich das Universum immer schneller aus?
4. Woher kommen die Keime der Galaxien?
5. Welche Erscheinungen stellen die noch fehlenden Gravitationskräfte?
6. Hatten antike Denker mehr Durchblick als heutige Kosmologen?
7. Was es heißt, Gottes Gedanken zu denken
8. Für ein dynamisches Universum und die Immanenz der Kräfte, Fußnoten


Vorbemerkung: heute unterscheide ich zwischen "Universum" und "Kosmos", der eben nur eine Teilerscheinung des Universums ist.

1. Entstehung aus dem Nichts?

Der Spiegeltitel in Heft 52/1998 "Gottes Urknall" mit dem Aufsatz "Die Welt aus dem Nichts" kreuzt sich mit Überlegungen, die ich kurz zuvor unter dem Titel "Was war vor dem Urknall?" niedergeschrieben hatte. Der Hauptunterschied zwischen beiden Ausführungen ist meine Überzeugung, daß a) mit dem Nichts nichts erklärt werden kann, und daß b) die uns bereits bekannten Kräfte ausreichen, die wichtigsten Beobachtungen der Astronomen zu verstehen. Es ersteinmal mit dem bekannten Wissen zu versuchen, kann ja nicht verkehrt sein und bedarf m. E. keiner weiteren Rechtfertigung, bewegt man sich dabei doch auf gesicherten Boden. Eine Einschränkung möchte ich allerdings machen: weil wir es nicht wissen können, darf nicht ausgeschlossen werden, daß das bekannte Universum nur eine Teilerscheinung ist, was aber nicht in Widerspruch zu den Naturgesetzen steht, wie auch im Artikel ausdrücklich bestätigt wird. Der Spiegel schreibt zu dem, was die Kosmologen jetzt die "zweite Kopernikanische Revolution" nennen (Seite 173): "Dem neuen Weltmodell zufolge dehnte sich das Universum kurz nach seiner Geburt mit Überlichtgeschwindigkeit aus. Dabei wurden die Keime der Galaxien gesät. Plausibel scheint es nach dieser 'Inflationstheorie', daß außer unserem Universum weitere entstanden - und noch immer entstehen." Es werden also in der heutigen kosmologischen Debatte weitere Universen für möglich gehalten, doch hat man die Vorstellung beibehalten, daß Universen scheinbar aus dem Nichts "entstehen". Dies ist eine Denkweise, die für ein zeitlich endliches Wesen verständlich ist, aber m.E. nicht den Kern der Sache trifft. Bis vor kurzem hielt man es noch für möglich, daß "unser" Universum eines fernen Tages wieder zusammenstürzt. Astronomen und Kosmologen suchten eifrig nach der Masse, die das bewirken sollte. Und was würde passieren, wenn dies tatsächlich geschähe? Müßte es dann nicht erneut zu einem Big Bang kommen, sobald das Plasma eine solche kritische Dichte erreicht hat, bei der sich die Antimaterie bildet? Wäre dann das Universum - ob nun mit oder ohne Gottes Hilfe - "aus dem Nichts" entstanden? Oder wäre es nicht viel richtiger zu sagen:


Mit "Materie" ist hier stets die Summe aller Energien/Teilchen gemeint, in welchem Zustand sie auch jeweils sind. Und nach dem erneuten Urknall würde sehr wahrscheinlich im Prinzip wieder das sein, was wir heute kennen, handelt es sich doch um die gleiche Materie, weshalb das Ergebnis eigentlich nicht so überraschen könnte. Obgleich dies natürlich niemand wissen kann - abgesehen davon, daß es nach neuesten Erkenntnissen ja nicht passiert -, halte ich das unabhängig davon für einen vernünftigen Schluß und eine Antwort auf die Frage, was vor dem Urknall war. Sie entspricht dem Gesetz von der Erhaltung der Energie und kommt ohne die Wirkung des "Nichts" und ohne sonstige willkürliche Annahmen aus.

2. Brauchen wir eine "kosmische Antigravitation" bzw. "die kosmische Konstante"?

Gelenkt wird das Universum von zwei Kräften: der Schwerkraft und der Fliehkraft. Die Schwerkraft ist eine zur Materie gehörende, einseitig gerichtete Kraft. Gäbe es nur die Schwerkraft, dann könnte es auch keinen gegliederten Kosmos geben. Von daher ist es einleuchtend, daß unser Universum durch einen Urknall gegangen sein muß, damit es zu den unstrittig vorhandenen Fliehkräften kommen konnte. Diese sind, nach neuesten Messungen der Astronomen, von der Schwerkraft im Ganzen offenbar nicht zu überwinden. Das Wissenschaftsblatt "Science" hat dieses Ergebnis zur bedeutendsten Entdeckung des Jahres 1998 gekürt. Seit man mit den stark verbesserten Observierungsmitteln seit gut einem Jahr weiß, daß "sich das Universum immer weiter und immer schneller ausdehnt" (Der Spiegel), passen plötzlich alle Daten zusammen: das Alter des Universums von 15 Milliarden Jahren und das Alter der ältesten Sterne, der Kugelsternhaufen. "Seit ein paar Monaten gehen wir Kosmologen auf Wolken", wird Matthias Bartelmann vom Münchner Max-Planck-Institut für Astrophysik zitiert. Hätten sie das nicht schon längst tun können? Seit Isaac Newton wissen wir, daß die Schwerkraft universell ist und daß ihre Wirkung mit dem Quadrat der Entfernung schwindet, weil sie sich gleichmäßig im Raum verteilt. Das bedeutet: im gleichen Maße, wie das Volumen des Universums zunimmt, verdünnt sich seine Schwerkraft (vor allem im intergalaktischen Raum), obgleich sie in ihrer Summe erhalten bleibt. Das ist genau wie beim Licht und ein rein räumliches Gesetz. Der vom Urknall der Materie erteilten Fliehkraft wirkte von Anfang an deren Schwerkraft entgegen. (Die sog. "inflationäre Phase" kurz nach dem Knall lassen wir hier mal außer Betracht, da sie zum einen spekulativ ist und zum anderen im Fortgang der Expansion keine Rolle spielt.) Entfernen sich die Massen voneinander, nimmt daher die die Expansionsgeschwindigkeit mindernde Anziehung der auseinanderstrebenden Teile des Universums ab. Die beobachtbare Geschwindigkeit ist einfach die Resultierende beider Kräfte. Hatten die Kosmologen übersehen, daß alle gemessenen Rotverschiebungen von Galaxien und die mit ihnen verbundenen Fluchtgeschwindigkeiten nur für den Zeitpunkt der Messung gelten können? Hatten sie deshalb ein zu geringes Alter errechnet? Nach heutiger Kenntnis ist also ausgeschlossen, daß sich die Fluchtbewegung einmal umkehrt. Vielmehr wird der Einfluß der Gravitation auf die Fluchtgeschwindigkeit zunehmend geringer. Nun kann man, um Einsteins kosmologischen Term zu rechtfertigen, diese Minderung der gegenseitigen Anziehung als Folge einer aus dem Nichts/dem Raum kommenden Antigravitation beschreiben mit einer rein räumlichen Konstante. Doch würde dabei etwas Neues suggeriert, das es keineswegs ist. Ich bin überzeugt, daß es nicht erforderlich ist, das Nichts und eine rein mathematische kosmologische Konstante zu bemühen. Auch werden Änderungen in der Fluchtbewegung bestenfalls in erster Annäherung konstant und isotrop sein. Mathematische, weder in der Sache, noch in der Geometrie begründete Konstanten sind für mich Ausdruck eines schematischen, realitätsfernen Denkens, weshalb Einstein sie ja auch wieder verworfen hat. Man hat mir gesagt, das "Nichts" wäre nur eine Metapher für das, was die Kosmologen (noch?) nicht verstehen. Aber Wissenschaftler sollten nicht in Metaphern reden, denn ihre Aufgabe ist es, Wissen und nicht Rätsel zu verbreiten. Hilfreicher ist da schon die ehrliche Aussage im Spiegel: "Verstanden ist diese Fernwirkung noch nicht." Sehr richtig. Da liegt es nahe, für den Fall, daß die obige Deutung nicht ausreicht, einen weiteren Versuch einer realistischen. d.h. aus dem Realen kommenden Erklärung zu unternehmen.

3. Warum dehnt sich das Universum immer schneller aus?

Aber was kann denn nun passieren, wenn unser Kosmos immer mehr (und sogar immer schneller) auseinanderfliegt? Verflüchtigt sich alles ins Leere und stirbt den Kältetod? Wir wissen es nicht. Doch wenn es da draußen weitere Universen gibt, wie sie der russisch-kalifornische Forscher Andrej Linde für möglich hält, weil man es ja auch nicht ausschließen kann, da wäre es unvermeidlich, daß Teile unseres Universums mit diesen einst wechselwirken werden. Ja, vielleicht sind diese anderen Universen heute schon die Ursache dafür, daß die Expansionsgeschwindigkeit des bekannten Universums zunimmt! Sofern also nicht nur eine Schwächung der Gesamtgravitation durch die Ausdehnung des Kosmos vorliegt, sondern sogar eine Beschleunigung der Expansion, dann wären uns umgebende andere Universen eine ganz zwanglose Erklärung des Phänomens und die sog. "Antigravitation" in Wahrheit die bekannte Gravitation, wenn auch die anderer Universen, die sich dadurch beweisen. Und irgendwo und irgendwann könnte es dann zu weiteren Urknallen wechselwirkender Universen kommen. In dieser Sicht wäre das Gesamt-Universum ohne Grenzen in Raum und Zeit und das unsere nur ein Teiluniversum. Ich denke, so erledigen sich Fragen wie die, was vor dem Urknall war, wer die Welt geschaffen hat, woher die Galaxien kommen, warum die Fluchtgeschwindigkeit zunimmt u.ä. von selbst. In einer solchen Sicht muß man weder ständig Gott, noch das Nichts bemühen - Metaphern, die einer beliebigen Deutung unterliegen und daher einen ernsthaften Wissenschaftler, wie dem Münchner Kosmologen Gerhard Börner, nicht befriedigen können. Wenn auf Kosmologentagungen Andrej Linde das Wort hat und er scheinbar aus dem Nichts nicht nur unzählige Universen zaubert, da bleiben mit "frenetischen Beifall" bedachte Clownerien nicht aus, wie der Spiegel berichtet, mit denen er die Fragwürdigkeiten seiner Theorie geschickt überspielt. Freilich, ein wenig "verrückt" im positiven Sinne muß man schon sein, um eine ungewohnte Sichtweise gewinnen zu können. Und solche "Verrückungen" aus eingefahrenen Denkbahnen sind im Leben wie in der Wissenschaft auch immer wieder vonnöten. Und am Ende könnte eines Tages vielleicht sogar ein geistiger Urknall stehen, nach welchen sich Kosmologen verwundert fragen, warum sie vorher so viele Probleme hatten.

4. Woher kommen die Keime der Galaxien?

Gehen durch einen Urknall alle vorherigen Konfigurationen der betroffenen Materie - vom Kernbaustein bis zum Galaxienhaufen - verloren, ist es richtig zu sagen, daß wir im Detail nicht wissen können, was vor dem Urknall war, nichteinmal ob es aus ein, zwei oder mehr Teiluniversen hervorgegangen ist. Vielleicht gingen aber auch nur fast alle vorherigen Konfigurationen verloren, vielleicht weil der sog. "Urknall" schon zündete, bevor ein völlig homogenes Plasma entstanden war. Dann wären "die Keime der Galaxien" einfach Überreste oder "Echos" der vorherigen und ein nichthomogener Kosmos zwangsläufig. Und vielleicht "entstand" ja das Universum nicht aus einem Punkt? Ich denke, nichts zwingt zu dieser herbeigerechneten Annahme, für die es keine Beweise gibt (Fred Hoyle*), wenn man nicht voraussetzt, unser Kosmos wäre "aus dem Nichts" oder durch den gönnerhaften Wink eines Schöpfers entstanden, einfach mal so, was beides überhaupt nichts erklärt. Könnte es nicht viel eher sein, daß - gegen Ende eines Zusammenstoßes riesiger Materiemengen - der uns bekannte Kosmos aus einer größeren Wolke mit vielen "Keimen" hervorging, die vielleicht sogar noch so groß war, daß es ein inflationäres Stadium erst gar nicht brauchte? Börner: "Lösungen in der normalen Raumzeitgeometrie ... deuten an, daß das Universum zwar in einem heißen Urknall entstanden sein könnte, jedoch zu Beginn einen endlichen Radius hatte, ..."* Jedenfalls sehe ich vorläufig keinen Anlaß anzunehmen, daß die neuen, uns bekannten materiellen Konfigurationen sich im Prinzip von den vorhergehenden unterscheiden. So gesehen, wäre die Inflationstheorie nur eine Verlegenheitslösung, die das Kunststück versucht, eine vorausgesetzte Singularität mit der beobachteten Inhomogenität des Kosmos zu verbinden. Börner zu solchen bei Kosmologen beliebten "höchst spekulativen Überlegungen": "Hier zeigt sich in besonders deutlicher Ausprägung die Haltung mancher Physiker, die in ihrer Begeisterung für Denkmöglichkeiten geneigt sind, ihre Vorstellungen mit der Wirklichkeit zu verwechseln."*
*In "Vom Urknall zum komplexen Universum" Serie Piper 1993 (inzwischen hat sich Börner in München vom MPI für Astrophysik in seinem neuen Buch "Schöpfung ohne Schöpfer. Das Wunder des Universums" dem Schöpfergesäusel und dem Wunderglauben seiner Kollegen voll angeschlossen und spricht vom Plan, Sinn, Zweck und Ziel des Universums, was jedoch rein menschliche Kategorien sind und in der Physik nichts zu suchen haben. Hier handelt es sich vielleicht um eine bayerische Referenz an den deutschen Papst, lehnt Börner doch nun "eine scharfe Trennung von Glauben und Wissen" ab, was der Chefredakteur der Zeitschrift "MaxPlanckForschung" voll in Ordnung findet und "eine klare Position" nennt. Die Max-Planck-Gesellschaft also nun nicht mehr nur eine Gesellschaft "zur Förderung der Wissenschaften" sondern auch eine des Glaubens und letztlich vielleicht nur noch des Glaubens? Geht das Konkordat mit der Kirche so weit? Wie mutig war doch noch Hubert Markl als ihr Präsident, als er am 22. Juni 2001 in Berlin entschieden für die Freiheit der Nichtchristenmenschen stritt - s. Texte (III/8b.)

5. Welche Erscheinungen stellen die noch fehlenden Gravitationskräfte?

Und was die noch weitgehend unbekannte "dunkle Materie" betrifft, welche die einzelne Galaxie, zusätzlich zu den leuchtenden Sternen, gravitativ zusammenhält, besonders im äußeren Bereich, so macht man möglicherweise den Fehler, immer nur die kondensierte Materie in Ansatz zu bringen. Diese wird anhand ihrer "Masse" erfaßt. Deshalb herrscht die Meinung, die Masse wäre die Ursache der Gravitation, was zu dem Umkehrschluß führt, daß es ohne Masse keine Schwerkraft geben kann. Doch die "Masse" ist keine Sache sondern nur eine physikalische Größe und als solche das Maß der Trägheit eines Körpers, die anhand seines mechanischen Widerstands erfahren wird. Weil aber dieses Maß proportional zur Menge seiner Materie ist, kann es auch als Maß der mit ihr verbundenen Gravitation benutzt werden, die eine weitere, permanent vorhandene, durch Probekörper erfahrbare Eigenschaft der Materie ist, wie ich an anderer Stelle näher ausgeführt habe. Und wenn die Materie z. B. durch das Maß ihrer Energie bestimmt werden könnte oder bestimmt werden muß, weil z. B. nicht bekannt ist, ob sie Masse hat oder wie groß diese ist, dann kann uns auch ihre Energie ein Maß der Schwerkraft liefern und die Gravitationskonstante ist dann zur Energie zu bestimmen. Masse und Energie sind nur Erscheinungsformen, d. h. etwas, was es immer nur in Bezug auf ein anderes gibt - was eben auch die Meßbarkeit ermöglicht. Lieber spreche ich von "Materie", wenn es um die Sache geht, die etwas bewirkt, wobei ich alle realen physikalischen Kräfte und materiellen Bausteine meine, weil ich überzeugt bin, daß alles real Existierende, sowohl der Gravitation unterliegt, als auch Gravitation ausübt. Das gehört für mich zur Einheit der vier Grundkräfte und des kosmischen Geschehens, und nicht zuletzt sehe ich auch die Äquivalenz von Masse und Energie als Ausdruck dieser Einheitlichkeit. So eine Sicht halte ich als die am wenigsten willkürliche aller möglichen Annahmen. Licht fliegt ja auch nicht unbeeinflußt durch ein starkes Gravitationsfeld. Daß feste oder gasförmige Körper nachweislich gravitativ auf ebensolche (und Licht) wirken, schließt in keiner Weise aus, daß auch die davoneilenden "Elemente" der Materie, wie Photonen und Neutrinos, dies ebenfalls tun, auch wenn deren gravitative Wirkung - wegen der Flüchtigkeit ihres Trägers - sich nur im großen Maßstab, z. B. in Galaxien, bemerkbar machen kann. Ob nun ungebundene Energien und Teilchen, wie Neutrinos, unabhängig von der Massefrage, einen namhaften Beitrag zur Gravitation leisten können, müßten die Fachleute untersuchen. Jedenfalls sollte man auch hier zuersteinmal die bekannten Erscheinungen in Ansatz bringen und prüfen, bevor man darauf los spekuliert und sich etwas ad hoc "ersinnt". Das Problem der Wissenschaftler ist immer wieder, daß ihre Denkweisen ihrem Wissen hinterhinken und dann mit ihm nicht zurechtkommen. Weil sie ihre Blicke nur nach außen richten, suchen sie ihre Defizite zuersteinmal dort. Ich hoffe, ich konnte zeigen, wie allein vernünftig erweiterte Gesichtspunkte Probleme ganz zwanglos zum Verschwinden bringen.

6. Hatten antike Denker mehr Durchblick als heutige Kosmologen?

"Die gegebene schöne Ordnung [Kosmos] aller Dinge, dieselbe in allem, ist weder von einem der Götter noch von einem der Menschen geschaffen worden, sondern sie war immer, ist und wird sein; Feuer, ewig lebendig, nach Maßen entflammend und nach [denselben] Maßen erlöschend."
Heraklit (ca. 544-483)

"Betrachte mit Verständnis das Abwesende als genauso zuverlässig anwesend: denn nicht wird das Verständnis das Seiende vom Seienden abschneiden, von seinem Zusammenhang, wie es sich gehört, weder als ein sich überallhin gänzlich Zerstreuendes noch als ein sich [gänzlich] Zusammenballendes."

"Man soll es aussagen und erkennen, daß Seiendes ist; denn es ist [nun einmal der Fall], daß es ist, nicht aber, daß Nichts [ist]; ich fordere dich auf, dies gelten zu lassen. Denn der erste Weg der Untersuchung, von dem ich dich zurückhalte, ist jener. Ich halte dich aber auch zurück von dem Weg, den die nichtwissenden Menschen sich bilden, die Doppelköpfigen. Denn Machtlosigkeit lenkt in ihrer Brust den irrenden Verstand; sie treiben dahin, gleichermaßen taub wie blind, verblüfft, Völkerschaften, die nicht zu urteilen verstehen, denen das Sein und Nichtsein als dasselbe und wieder nicht als dasselbe gilt und für die es eine Bahn gibt, auf der alles in sein Gegenteil umschlägt."
Parmenides (ca. 540-480)

"Er schilderte, wie die seienden Dinge sich ewig im Leeren bewegten. Es gebe unbeschränkt viele Welten, und zwar von unterschiedlicher Ausdehnung. In manchen gebe es weder Sonne noch Mond, in manchen größere, in manchen mehr Sonnen und Monde als bei uns. Die Räume zwischen den Welten seien ungleich, und es gebe hier mehr, dort weniger [Welten], und die einen seien noch im Wachstum begriffen, andere seien in der Blüte ihres Lebens, wieder andere seien im Schwinden; an einer Stelle entstünden [welche], an anderer Stelle hörten sie auf zu sein. Wenn sie aufeinander stießen, würden sie vernichtet. Es gebe einige Welten, in denen keine Lebewesen vorkämen und überhaupt keine Feuchtigkeit."
Nein, hier handelt es sich nicht um Fred Hoyles Steady-State-Theorie und auch nicht um Lindes Multiversum, sondern hier berichtet Hippolytos über die Kosmologie des Demokrit (460-371).
alles aus: "Die Vorsokratiker I", Reclam Universal-Bibliothek Nr. 7965

Aber schon früher hatte Anaximander aus Milet (um 611-545) gelehrt: der Ursprung der seienden Dinge ist das Unbegrenzte. Denn aus diesem entstehe alles und zu diesem vergehe alles. Weshalb auch unbeschränkt viele Welten produziert werden und wieder vergehen zu jenem, aus dem sie entstehen.
aus "Die Vorsokratiker" von Carl-Friedrich Geyer, Junius Verlag Hamburg

In der vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, herausgegebenen Übersetzung von Newtons (1643-1727) unveröffentlichten Notizen zu den Propositionen IV - IX Buch III seiner Principia* findet sich folgende Auseinandersetzung Newtons mit Gedanken von Lukrez (96-55), dem bedeutendsten Vertreter der Lehren Epikurs (ca.342-271) in Rom, zur Unendlichkeit des Alls, wobei die rein physikalische Argumentation des Römers sich wohltuend von heutigen Debatten abhebt:
"Darum lehrt Lukrez, daß es keinen Mittelpunkt des Universums und keinen unendlichen Ort gibt, sondern in dem unendlichen Raum unendlich viele Welten sind, die der unsrigen ähnlich sind, und deshalb tritt er für die Unendlichkeit der Dinge folgendermaßen ein:

(Newton weiter:) Die Stärke des Arguments liegt darin, daß wenn das Weltall irgendwo begrenzt wäre, so würden sich die äußersten Körper, weil sie keine äußeren Körper haben, zu welchen hin sie schwer sind, nicht im Gleichgewicht befinden, sondern durch ihre eigene Schwere zu den inneren Körpern hin streben und hätten sich dadurch, daß sie seit ewiger Zeit von überall her zusammenströmen, schon längst in der Mitte des Ganzen, gewissermaßen im untersten Ort, angelagert. Folglich ist aufgrund von Lukrez' Ansicht ein jeder Körper zu der ringsum gelegenen Materie hin schwer und wird durch die die Übermacht habende Schwere in die Gebiete getragen, wo mehr Materie ist, und sämtliche Welten sind gegenseitig zueinander hin schwer und durch ihre Schwere zu den Welten hin, die auf der einen Seite liegen, werden sie daran gehindert, zu den Welten hin zu fallen, die auf der anderen Seite liegen. Jedoch werden sie aufgrund von Demokrits Ansicht irgendwann einmal infolge der Kraft der die Übermacht habenden Schwere fallen, wie oben gesagt worden ist."

Hier wäre heute nur zu ergänzen: Sobald genügend Materiemenge aufeinandertrifft, gibt es entweder eine Supernova oder wieder einen Urknall, wobei neue Fliehkräfte für die vom Ereignis direkt oder indirekt betroffene Materie entstehen. Lukrez sieht den Zuwachs von Fliehkräften wie folgt (Vers 994-997):

    "Stets regen sich alle Dinge auf allen Seiten in unablässiger Bewegung
    und sie ergänzend schnellen ewig
    Materiekörper aus dem Unendlichen hervor."

Wohlgemerkt: aus dem Unendlichen und nicht aus dem Nichts! Und die Ursache eines Hervorschnellens "aus dem Unendlichen" kann eben immer wieder auch eine Megaexplosion sein, sobald sich in einem Bereich von allen Seiten genügend Materiekörper unablässig aufeinander zubewegt haben!
*Preprint 144, Volkmar Schüller, Newtons Scholia aus David Gregorys Nachlaß zu den Propositionen IV - IX Buch III seiner Principia, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, 2000 - hier Okt. und Nov. 2000 nachgetragen

7. Was es heißt, Gottes Gedanken zu denken

Die beiden SPIEGEL-Artikel "Der erschöpfte Schöpfer" und "Die Welt aus dem Nichts" beruhen auf der ungeprüften Voraussetzung, daß das Universum vor langer aber begrenzter Zeit "entstanden" wäre. Die meisten Probleme, die Kosmologen deshalb bewegen, ergeben sich aus dieser Prämisse, und ihre Zuflucht zu einem göttlichen Schöpfer ist dann fast unvermeidlich. Nun könnte man daraus den Schluß ziehen, daß der mesokosmisch geprägte Verstand des Menschen mit der Kosmologie überfordert ist, wenn es nicht das Zeugnis antiker Denker und sicher auch noch manch anderer gäbe, welche die Welt nicht nur mit den Augen der Sterblichen gesehen haben, für die es ganz selbstverständlich ist, daß alles einen Anfang und ein Ende haben muß. Die neueste astronomische Forschung hat nun aber das Ergebnis erbracht, daß ein Ende nicht absehbar ist - doch an der Überzeugung von einem zeitlichen Anfang aller Dinge wird eisern festgehalten. Bestenfalls wird akzeptiert, daß "unser Universum nur eines von vielen ist", die aber auch auf die gleiche Weise "entstanden" wären. Ja, "entstanden" ist unser Universum bei einer "Urknall" genannten Megaexplosion schon, aber eben nicht aus dem Nichts sondern aus einer Materie, die schon existierte und zu der möglicherweise Antimaterie hinzu trat, wie G. Faust ergänzt. Man muß eben lernen, nicht nur über den räumlichen sondern auch über den zeitlichen Rand hinauszuschauen. Das heißt für mich, "Gottes Gedanken zu denken", was Einstein stets vorschwebte, was ihm aber nicht leicht fiel, weil auch sein Denken von unhinterfragten Erwartungen beherrscht wurde. Jahrtausendelange religiöse Indoktrination hat eben ihre Spuren in den Köpfen der Menschen hinterlassen. Doch bezüglich der Kosmologie stimme ich Einstein im folgenden Punkt zu: denkt man "Gottes Gedanken", dann ist der Rest "einfach", weil dann die aus allzumenschlicher Perspektive sich ergebenden Probleme verschwunden sind.

Wenn gesagt wird: Gott ist die Wahrheit oder die Wahrheit ist bei Gott, so sind damit Aussagen gemeint, die sich ergeben, wenn der Mensch - sein übliches Denken transzendierend - den weitestmöglichen Gesichtspunkt einnimmt, hier: ein Universum ohne Grenzen in Raum und Zeit. Ein solch unendliches Universum bringt nicht nur alle kosmologischen Probleme zum Verschwinden, sondern läßt auch keinen Ort für einen Gott der außerhalb steht. Ich sehe es als ein Werk der Kirchen an, Gott und Welt getrennt zu haben, damit für sie mehr Herrschaftsraum bleibt. Dadurch haben wir heute einen heiligen, ewigen und unendlichen Gott, und eine aus dem Nichts geschöpfte unheilige, zum Verbrauch bestimmte endliche Welt mit allen negativen Folgen ihrer Entheiligung. Daß aber das eine nicht ohne das andere sein kann, spüren wir ganz instinktiv. Daher käme es darauf an, das Schisma, das nur in unseren Kopf existiert, um unserer Vernunft, Würde und Zukunft willen zu überwinden.

Die Gegenposition, die Schöpfung einer räumlich und zeitlich begrenzten Welt aus dem Nichts, ob mit oder ohne Hilfe Gottes, ist kein geistig nachvollziehbarer Standpunkt und kann daher nur geglaubt werden. Zur Rettung der Rationalität, die auch mein Anliegen ist, schrieb Parmenides schon vor ca. 2500 Jahren, was immer gelten wird: "Denn niemals kann erzwungen werden, daß ist, was nicht ist. Im Gegenteil, du sollst das Verstehen von diesem Weg der Untersuchung zurückhalten und die vielerfahrene Gewohnheit soll dich nicht zwingen, über diesen Weg das ziellose Auge schweifen zu lassen, das widerhallende Ohr und die [sprechende] Zunge. Nein: beurteile in rationaler Weise die streitbare Widerlegung, die ich ausgesprochen habe."
(Quelle s. 1. Fußnote zu Pkt.6)


8. Für ein dynamisches Universum und die Immanenz der gestaltenden Kräfte

Es gilt jedoch nicht nur für ein Universum ohne Grenzen in Raum und Zeit zu streiten, sondern auch für ein dynamisches Universum und die Immanenz seiner gestaltenden Kräfte, nicht nur in der Kosmologie, sondern in allen Sparten der Naturwissenschaft, wollen wir die Faktenlage und rational nachvollziehbare Erklärungen in Übereinstimmung bringen. Während den hier schon zitierten antiken Denkern (Pkt. 6) klar war, daß Welten entstehen und vergehen, der Kosmos jedoch immer sein wird, "Feuer, ewig lebendig, nach Maßen entflammend und nach [denselben] Maßen erlöschend" (Heraklit), hat der Gedanke der Dynamik allen Geschehens, daß "alles fließt", wie Heraklit ebenfalls bereits sagte, es heute noch schwer, wie die Erstarkung des Kreationismus, auch unter Naturwissenschaftlern, nicht nur in den USA, zeigt. Noch Einstein wollte durch einen herbeiphilosophierten "kosmologischen Term" eine von ihm als "natürlich" empfundene statische Lösung des kosmologischen Problems der einseitig gerichteten Schwerkraft durch Hinzugabe einer abstoßenden Kraft herbeiführen. "So hat erstaunlicherweise selbst Hubble noch 1929 die Resultate seiner vorhergehenden Beobachtungen der galaktischen Rotverschiebungen im Rahmen des als statisch angenommenen de Sitter-Universums interpretiert"*, obgleich ein statisches Universum weder den Ursprung der Galaxienflucht, noch überhaupt den der kosmischen Fliehkräfte erklären kann und damit kosmologisch gar nichts erklärt. Bezüglich der Ursache des sog. "Urknalls" besteht bis heute weiterhin eine Denkblockade, weil man nicht sehen will oder darf, daß er das Durchgangsstadium einer großen Teilmenge der Materie infolge ihr immanenter Eigenschaften ist, die noch dazu gut bekannt sind. Auch hier geht es wohl um die Existenzberechtigung eines außerweltlichen Schöpfergottes, hat doch die katholische Kirche das von einem ihrer Geistlichen ausgedachte Urknallszenario freudig akzeptiert. Aber da war wiederum Heraklit schon viel weitsichtiger, weil einzig dem Logos verpflichtet, als er vom ewig wiederkehrenden "Urfeuer" sprach, bei dem auf dem "Weg hinab" (von ihm) durch Zwiespalt und Kampf Alles aus Einem, und auf dem "Weg hinauf" (zu ihm) durch Auflösung des Erstarrten Eines aus Allem wird. Daher müssen wir ganz nüchtern lernen, daß der "Urknall" weder ein Urknall, noch ein Knall war, denn ein solcher setzt die Existenz von Luft voraus (und von Ohren, die hören), sondern eine Megaexplosion zusammenströmender Materie, aus der das uns bekannte Universum hervorging.

Die dynamische Naturbetrachtung der Neuzeit begann mit Goethes Morphologie, dem von ihm gesehenen Gestaltwandel der Pflanzen und Tiere. Charles Darwin hat mit seinem 1859 herausgegeben epochalen Werk "On the Origin of Species by Means of Natural Selection" erste Ansätze der naturwissenschaftlichen Erklärung dieses Gestaltwandels geliefert. Die bis heute offene Frage, wie bei aller genetischen Drift ganz neue Arten entstehen konnten, wird von Kreationisten gern zum Anlaß genommen, die ganze Abstammungslehre in Frage zu stellen. Doch ich verstehe die Offenheit der naturwissenschaftlichen Erklärung der Makroevolution als ein Indiz für die Gewissenhaftigkeit wissenschaftlichen Forschens, die zu respektieren ist, während der Kreationismus an Stelle des Wissens einfach den Glauben setzt. Wenn seine Vertreter ihr fehlendes Wissen nicht durch Eifer und Intoleranz ersetzen würden, brauchte man sich um sie nicht zu kümmern und man könnte jedem seinen Glauben lassen. Der in einigen Staaten der USA bereits festgeschriebene Kreationismus könnte jedoch schnell zu einem neuen Forschungshindernis werden und zu einer weiteren Bedrohung der Freiheit des Denkens**. Aber auch durch die verbreitete Weigerung***, über den "Urknall" hinaus zu denken, nimmt das rationale Weltbild Schaden, wie der eingangs zitierte Spiegeltitel in Heft 52/1998 "Gottes Urknall" mit dem Aufsatz "Die Welt aus dem Nichts" belegt. Wenn es wissenschaftlich legitim ist zu sagen, daß die Welt, einfach mal so, "aus dem Nichts" entstanden ist, dann kann man dies erst recht nicht für alles andere ausschließen und dem Zauber- und Wunderglauben (s. Börner) sind Tür und Tor geöffnet - Harry Potter lässt grüßen. Daher muß man zur Rettung der Rationalität nicht nur für ein Universum ohne Grenzen in Raum und Zeit streiten, sondern auch für die Dynamik des Universums und die Immanenz seiner gestaltenden Kräfte, die eine immerwährende Schöpfung bewirken, denn der Streit ist der Vater aller Dinge - wie bekanntlich ebenfalls Heraklit schon sagte.
*Rätsel der kosmischen Vakuumenergiedichte und die beschleunigte Expansion des Universum, von Domenico Giulini und Norbert Straumann, in Physikalische Blätter, Heft 11 November 2000 S. 43
**"An den Schulen des Bundesstaates Kansas dürfen die Kinder wieder über die Evolution, den Urknall und die Geologie unterrichtet werden. Das geht aus den neuen Standards für den Wissenschaftsunterricht hervor, die das Kansas Board of Education beschlossen hat. Es hat damit eine anders lautende Entscheidung aus dem Jahre 1999 aufgehoben, die fundamentalistische Anhänger einer wörtlichen Bibelauslegung durchgesetzt hatten." Notiz in Physikalische Blätter Heft 4 April 2001 S. 10, mitgeteilt von Rainer Scharf, Fundstelle: www.ksde.org/outcomes/science.html.
***s. hierzu meine Dokumentation (I/C1) zur Verweigerung des Dialogs: "Was war vor dem Urknall? Der mühsame Weg zur richtigen Frage"

© HILLE 1999-2001
einige Ergänzungen 07.05.07

Ganz oder auszugsweise, dann zusammen mit "Was war vor dem Urknall?" auf Datei (I/C1) vor verschiedenen Gremien vorgetragen sowie in "unitarische blätter" abgedruckt - s. "Publikat./Vorträge" (linkes Menue, 3. Block)
Pkt. 6 unter dem Titel "Antike Denker für ein Universum ohne Grenzen in Raum und Zeit" auf der 69. Jahrestagung der DPG März 2005 (Einsteinjahr!) in der TU Berlin dem FV EP und DD vorgetragen (s. ZEIT UND SEIN unter Nr. (1) der Tagungsbeiträge)


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