Buchbesprechung |
Im Gegensatz zu zwei anderen hier besprochenen populärwissenschaftlichen Büchern fällt bei Steven Weinberg angenehm auf, daß man sich bei ihm nicht zuerst durch einen ideologisch gelenkten Wust von Behauptungen durchlesen muß, bis man zur eigentlichen Aussage kommt. Der Autor geht sein Thema und Anliegen - eine endgültige Theorie der 4 Grundkräfte - offen und temperamentvoll an, auch wenn der Rezensent den von Weinberg beklagten Stillstand in der theoretischen Physik nicht sosehr dem fehlenden Superconducting Super Collider (SSC) anlasten möchte, einer Protonenbeschleunigungsmaschine, die 8 Milliarden Dollar kosten soll, was dem amerikanischen Kongreß zu viel war. Das ist verständlich anläßlich der Feststellung von Weinberg: "Fast alle Teilchen, deren Felder im modernen Standardmodell der Teilchen und Wechselwirkungen auftreten, zerfallen so schnell, daß sie in gewöhnlicher Materie nicht vorkommen und im Leben der Menschen keine Rolle spielen." Wer sich einen Einblick in die faszinierende Entwicklung und die Diskussionen in der Teilchenphysik machen möchte, bekommt hier Informationen aus erster Hand. So untersucht Weinberg ausführlich, was in einer "endgültigen Theorie" von der gegenwärtigen Physik Bestand haben wird. Das für ihn Tragische dabei ist, daß die ungeliebte, weil Forschungsgrenzen respektierende Quantenmechanik, deren "geringste Änderung zu logischen Absurditäten führen würde", "nicht bloß als eine Näherung an eine tiefere Wahrheit" überleben wird (S. 96), während die für ihn über alle Maßen "schöne Relativitätstheorie" experimentell funktioniert, wogegen "die in ihr enthaltenen inneren Widersprüche zeigen, daß sie modifiziert werden muß" (S. 212).
Das einzige für mich wirklich Ärgerliche in Weinbergs Buch ist, daß zu Gunsten des von ihm verehrten Einsteins die Leistungen des wirklichen Genies der Physik, Isaac Newton, unberechtigt abgewertet werden, wie es ihm überhaupt sichtlich schwerfällt, unparteiisch zu sein. Was Einstein wirklich entdeckt hat, ist die Trägheit der Energie (mE = E/c2), die natürlich dann mit Gravitation verbunden ist, und insofern hat er das Gravitationsverständnis erweitert, während die "gekrümmte Raumzeit" eine Als-ob-Beschreibung der Folgen von Gravitation ist und insofern keinen Erklärungswert besitzt. Der Rezensent hat hierüber auf mehreren Sitzungen der deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) vorgetragen, ohne daß ihm widersprochen werden konnte. Er ist sogar der Meinung, daß gerade ein sorgfältiges Verständnis der Gravitation der Schlüssel für die Einheit sowohl der 4 Elementarkräfte, als auch zugleich für die des Universums ist. An einer Stelle, wo Weinberg keiner Theorie sondern nur seiner eigenen Einsicht folgt, schreibt er dann auch (fast) richtig: "…jede Art von Energie erzeugt Gravitationsfelder und wird ihrerseits von Gravitationsfeldern beeinflusst" (S. 232), ohne jedoch diesen grundlegenden Ansatz zur realen Einheit des Universums weiter zu verfolgen. Falsch an dem Satz ist dagegen, daß Gravitationsfelder "erzeugt" werden. Die Schwerkraft hat keine Ursache [als den Urknall selbst], sondern sie ist eine! Newton: "Die beschleunigende Kraft soll auf den Ort des Körpers (nicht auf den Körper!!!) zurückgeführt werden als eine Wirkfähigkeit, die vom Mittelpunkt über die einzelnen Orte in der Umgebung verteilt ist, um die dort befindlichen Körper in Bewegung zu versetzen." (Newton, Principia, Erläuterung zu Definition VIII). Dies ist genau die Beschreibung eines permanenten Feldes, das nur im Ort des Körpers sein Zentrum hat und ansonsten eine der trägen Masse komplementäre Erscheinung ist, eine Komplementarität, auf die schon das Wort Gravitationskonstante hinweist.
Wer immer Newton Fernwirkungen vorwirft, natürlich auch Weinberg, der sitzt nur einer eigenen falschen Auffassung auf, daß die Gravitation eine Ursache braucht (wohl aber die Schwere von Körpern, was gern verwechselt wird). Sie hat [wenn wir vom Urknall absehen] genau so wenig eine Ursache wie ein Elektron, sondern ist wie dieses einfach da. Letztlich sind Energie, Elektron und Gravitation nur Aspekte einer umfassenderen unauflöslichen Realität, deren Manifestationen von unseren Versuchsanordnungen und Interpretationen abhängen. So gesehen ist der einzelne [isolierte] Gegenstand nur ein Konstrukt unseres Denkens. Mit seiner Wortwahl "erzeugt" (auch an anderer Stelle) zeigt Weinberg, wie er gelegentlich gedankenlos gängige Klischees übernimmt, die dem Verständnis der real existierenden Einheit des Universums, die ja nicht erst erträumt und errechnet werden muß, entgegenstehen. [Wie der Titel der amerikanischen Originalausgabe zeigt, geht es ihm aber nicht um die Einheit des Universums, wie die deutsche Ausgabe irreführend heißt, sondern um eine finale Theorie der Physik:] Daher glaube ich auch nicht, daß man durch die Fortschreibung vorgefundener Theorien, die nur Gebrauchsanweisungen zu einer eng begrenzten Anzahl von Fakten sind, zu einer finalen Formulierung der Naturgesetze kommen wird. Vielmehr halte ich es für erforderlich, das Sachverständnis auf breiter Front selbstkritisch so zu vertiefen, daß man auch ohne die Krücken bestehender Theorien zu gehen in der Lage ist. Der Gang würde dann sehr viel besserer und reiner.
In einem eigenen Kapitel (Wider die Philosophie) setzt sich Weinberg mit Philosophie und Wissenschaftsphilosophie auseinander. Während er erstere immerhin noch als nützlich ansieht, aber vor allem nur, um die Physiker vor den Vorurteilen anderer Philosophen zu bewahren, scheint ihm die Wissenschaftsphilosophie "bestenfalls eine gefällige Randglosse zur Geschichte und zu den Entdeckungen der Wissenschaft zu sein", von der er nicht erwartet, daß "deren mutmaßliche Ergebnisse auch nur die geringste Hilfe und Anleitung bieten" (S. 174). Einerseits befürchte ich, daß er mit seinem harten Urteil weitgehend Recht hat, andererseits glaube ich nicht, daß er berechtigte Einwände und Vorschläge von Philosophen akzeptieren würde, wenn sie nicht seiner eigenen Auffassung entsprechen. Ich probiere es hier einmal mit dem Vorschlag, Weinberg möchte nicht wiederholen, daß "der leere Raum aus allen Richtungen und von jeder Position her gleich aussieht" (S. 143), denn an einem leeren Raum gibt es nichts zu sehen, nicht einmal Seiten und Richtungen. Solche Euphorie kommt wohl daher, wenn man sich zu lange unkritisch mit gekrümmten Räumen beschäftigt hat. Da fängt man an, sie eines Tages auch noch zu sehen, so wie besonders fromme Katholiken ihre Marienerscheinungen haben. Der positivistische Vorschlag, nur über Beobachtbares zu berichten [bei Berücksichtigung der Beobachterrolle], war so schlecht nicht, solange man ihn nicht dogmatisch handhabt, wie Mach es tat. Die Zuverlässigkeit der Quantenmechanik beruht genau auf dieser geistigen Disziplin, die man nicht hoch genug achten kann.
Die philosophische Hauptauseinandersetzung führt Weinberg mit dem in Amerika sehr stark vertretenen postmodernen Relativismus, der jetzt auch in Deutschland sein Echo gefunden hat. "Die philosophischen Relativisten bestreiten den Anspruch der Wissenschaft, die objektive Wahrheit zu enthüllen; für sie ist die Wissenschaft ein beliebiges soziales Phänomen" (S. 190). Wegen des von ihm konstatierten "Paradigmenwechsels", eine vornehme Umschreibung von Zeitgeist, bezweifelt Thomas Kuhn (Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen), daß es in der Wissenschaft Fortschritte in Richtung auf eine objektive Wahrheit gibt. Wenn man bedenkt, daß Einstein aus dem Nichterweis der Wirksamkeit von reiner Bewegung [die als Bewegungseindruck nur im Anschauungsraum des Beobachters existiert] im sog. Michelsonexperiment durch Einführung der Zusatzhypothese von der Relativität von Raum und Zeit den gegenteiligen "Beweis" für deren Wirksamkeit konstruiert hat, um den Fakten zum Trotz die widerlegte Realität des Bewegungseindrucks zu retten, was heute von allen Lehrstühlen der Physik akzeptiert wird, sind solche Zweifel mehr als berechtigt. Hier würde nur eine selbstkritische schonungslose Ehrlichkeit helfen, die auch vor Idolen nicht Halt macht.
Soweit sind wir aber noch lange nicht. Im Gegenteil. F. Mühlhölzer, Philosoph an der TU Dresden, vormals Dozent an der Uni München am Lehrstuhl von Wolfgang Stegmüller [hier hatte ich bei ihm u.a. ein Wittgenstein-Seminar], schreibt dazu im Verbandsorgan der DPG, Physikalische Blätter, im Mai 1997: "Es ist durchgängig zu beobachten, daß Naturwissenschaftler, wenn sie sich auf philosophisches Terrain begeben, dazu neigen, das intellektuelle Rüstzeug zu vergessen, das sie in ihrem eigenen Fach so eindrucksvoll nutzen. Beispiele dafür finden sich ausgerechnet in Steven Weinbergs Kommentar zur Sokal-Affäre. So etwa sieht seine Charakterisierung dessen aus, was seine Antwort zur richtigen macht: "Die richtige Antwort, wenn wir sie denn finden, ist, was sie ist, weil das die Art und Weise ist, wie die Welt ist". Anmerkung von Mühlhölzer: "Auf Beispiele von ähnlichem Zuschnitt trifft man auch in seinem Buch Der Traum von der Einheit des Universums." [Mühlhölzer weiter:] "Ich denke, dieser fundamentalistische Justamentstandpunkt Weinbergs zur Abwehr einer kritischen Hinterfragung ist seinerseits geeignet, die Analyse der philosophischen Relativisten zu bestätigen, daß das, was die Wissenschaft als Realität ansieht, oft genug ein soziales und sprachliches Konstrukt sei, und daß es sich bei der vielgerühmten wissenschaftlichen Objektivität letztlich um den Ausdruck von Machtstrukturen handle, aufgrund derer sich die Wissenschaft durchsetzt." Soweit Mühlhölzer.*
*Prof. Dr. Felix Mühlhölzer, seit Oktober 1997 Professor für Philosophie an der Georg-August-Universität Göttingen
Ich habe hier die Meinung eines anderen Kritikers in einem von der DPG autorisierten Organ zitiert [als Stefan Jorda noch nicht Chefredakteur war], um dem wissenschaftsgläubigen Leser zu zeigen, daß es sich hier nicht um eine private Meinung von mir handelt. Nein, es ist durchaus Stand der Diskussion, allerdings mehr in den USA und Frankreich. Während aber die philosophischen Relativisten das Kind mit dem Bade ausschütten, wie Mühlhölzer sagt, käme es jedoch auch nach ihm darauf an zu erarbeiten, was in der neuzeitlichen Naturwissenschaft "unter Objektivität sinnvollerweise verstanden werden kann", um somit aus der Analyse der Relativisten die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Eine Wissenschaft, die ihr aus dem beutegreiferischen Denken des Menschen kommendes aneignendes Vorgehen nicht wahr haben will, kann nicht in Frieden mit ihren Gegenständen kommen, weil ihr deren Eigenwert fremd bleibt. So ist das Bedenken des Charakters unseres Wissens keine müßige akademische Frage, sondern eine Frage unseres Menschseins und unseres Überlebens zugleich.
Fast noch interessanter, weil grundsätzlicher, als die Einblicke in die Entwicklung der Teilchentheorie und ihr vermuteter Fortgang, sind für mich Weinbergs Aussagen zu den von den Physikern benutzten Kriterium der Schönheit. Nachdem Popper klar gestellt hatte, daß man Theorien nur falsifizieren aber nicht verifizieren kann, dient den Physikern offensichtlich jetzt die Schönheit einer Theorie als Kriterium für ihre Gültigkeit. Dieses Kriterium durchzieht nicht nur Weinbergs ganzes Buch, sondern es ist auch Gegenstand eines eigenen Kapitels (Schöne Theorien). Nun ist es zuerst einmal richtig, sich über die Rolle unserer Empfindungen bei der Bildung von Urteilen Klarheit zu verschaffen, sind doch Empfindungen Ausdruck des vornehmlich in der rechten Gehirnhälfte gespeicherten und zur Quersumme verrechneten Wissens. Dieses implizite Wissen wurde nicht nur in der Geschichte des Individuums, sondern auch in der des Lebens selbst gewonnen, und stellt somit die größtmögliche Referenz dar, die es gibt, der gegenüber Einzelerfahrungen verblassen. Insofern ist der Schönheitssinn durchaus geeignet, einen ersten gewichtigen Anhalt über den Wert von Theorien zu geben. Aber auch der religiöse Glaube ist eine solche Reflexion auf das implizite Wissen, verwoben mit unseren Hoffnungen und Ängsten. Wenn nun die Wissenschaft als dritte Kultur nach Mythos und Religion sich vom Glauben abheben möchte, wie es ihr erklärtes Ziel ist, darf sie eben nicht bei irrationalen, unkontrollierbaren Kriterien stehen bleiben, die dem Zeitgeist unterliegen. Ein jeder weiß, wie leicht die subjektive Auffassung, was schön ist, sich wandelt [und die Kunstgeschichte zeigt, wie fließend der Schönheitsbegriff ist]. Und ist es nicht ein grober Selbstwiderspruch, wenn eine wissenschaftliche Theorie, mit dem Anspruch auf Endgültigkeit, sich auf dem Zeitgeist unterliegende ästhetische Kriterien berufen muß? Wie kann sie dabei weniger zeitgeistig und oberflächlich sein als ihr Kriterium???
Weinberg plädiert am Ende des Buches sehr richtig, daß der Mensch die ihm zukommende Rolle, als ein erwachsenes und rationales Wesen annehmen und sich nicht dem Wunschdenken hingeben sollte und daß er ein vernünftiges Weltbild braucht. Wie aber könnte ihm die Wissenschaft da helfen, wenn es nach Weinberg nicht möglich ist "wissenschaftliche Denkweisen mit rationalen Argumenten zu begründen"? Dieser eine Satz (S. 268) allein schon offenbart das ganze Dilemma heutiger Physik und relativiert viele Aussagen des hier besprochenen Buches. Wenn ich bisher noch Hemmungen gehabt habe, das Rationalitätsdefizit heutiger Physik ganz offen auszusprechen, so ist mir durch Weinbergs Buch diese Hemmung genommen worden und ich sehe meine Tätigkeit, auf Tagungen der DPG und im Internet "rationale Grundlagen der Physik" aufzuzeigen, voll gerechtfertigt. Rational ist ein Vorhaben, das auf die Möglichkeiten der Ratio abgestimmt ist, nämlich nach Grund-Sätzen zu urteilen, die ihr selbst-verständlich sind. Daher denke ich, daß die Physik solange nicht vor der Endgültigkeit steht, wie sie sich nicht ihres notwendigen Fundamentes versichert hat und auf diesem aufbaut. Einzig in diesem Sinne sollten theoretische Physiker Fundamentalisten sein!
Helmut Hille (München)
Die beiden letzten Absätze gehörten 1998 auch zu meinem DPG-Vortrag in Regensburg - s. (I/A2)
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