Buchbesprechung

Jeder bestimmte Zustand ist durch einen Beobachter bestimmt

Anton Zeilinger/Einsteins Schleier
Die neue Welt der Quantenphysik
Verlag C.H.Beck, München 2003, 237 Seiten, EURO 24,90


Ehrungen Zeilingers s. ganz unten, DPG-Vortrag s. Fußnote


"Natürlich gibt es eine beobachterunabhängige Realität
- aber natürlich nur solange, wie sie nicht beobachtet wird."
Helmut Hille

"Doch unser Tun
- alle unsere alltäglichen Handlungen ohne Ausnahme -
hilft, eine Welt hervorzubringen und zu etablieren,
in der wir werden, was wir im Austausch mit anderen werden
in jenem Prozeß des Hervorbringens einer Welt."
Humberto R. Maturana u. Francisco J. Varela in DER BAUM DER ERKENNTNIS


Die Fragen zur Rolle des Beobachters in der Quantenphysik
werden bis heute von den Physikern als speziell das Forschungsgebiet der Quanten betreffende Fragen angesehen. Aber es sind ganz allgemeine Fragen zum Erkenntnisproblem, nur dass bei dem Versuch, Quantenphänomene zu verstehen, wegen der Kleinheit der Objekte die Klärung dieser Fragen plötzlich aktuell und wichtig wurde. Anton Zeilinger, Professor am Institut für Experimentalphysik der Universität Wien, vorher in Innsbruck, vor allem durch seine Experimente zur Teleportation, dem "Beamen", und zum Quantencomputer der breiten Öffentlichkeit bekannt, erwähnt gleich zu Beginn seines bereits im ersten Jahr in der sechsten Auflage erschienenen Buches die hitzigen Diskussionen in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu der Frage, ob die Dinge auch dann existieren, wenn niemand hinsieht, zum Beispiel den Mond, was Einstein einst in Rage gebracht hatte. "Wie kann man nur so verrückt sein, dies überhaupt in Frage zu stellen? Und doch, da gibt es Leute, die behaupten, dass es Dinge gäbe, deren Eigenschaften und deren Existenz davon abhängt, ob wir hinsehen und wie wir hinsehen. Zugegeben, diese Dinge sind sehr, sehr klein, aber immerhin ..." Soweit Anton Zeilinger, Betonung von mir. Doch nicht nur bei den "sehr, sehr kleinen Dingen" müssen wir uns fragen, ob die Dinge objektiv, d.h. selbst wirklich jene Eigenschaften haben, die der Beobachter bei ihnen sieht, z.B. "ihre Ruhe" oder "ihre Bewegung", obwohl unbelebte Dinge mangels Bewegungsorganen ja lediglich "in ihrem Zustand verharren", wie Newton schon festgestellt hatte. Einstein dagegen argumentierte mit diesen objektiv nicht existierenden Eigenschaften, obwohl er zuvor ganz richtig bemerkt hatte, dass sie "keine Eigenschaften der Erscheinungen" sind. Doch wollte er von der Rolle des Beobachters nichts wissen, um reduktionistisch "alles so einfach wie möglich" erklären zu können ("aber nicht einfacher"), was wohl der eigentliche, gar nicht mehr so positive Sinn seines berühmten, auch im Buch zitierten Ausspruches ist. Und allemal müssen wir uns ferner fragen, ob die Dinge auch das sind, als was wir sie sehen und behandeln. Zu den "Leuten", "die behaupten, dass es Dinge gäbe, deren Eigenschaften und deren Existenz davon abhängt, ob wir hinsehen und wie wir hinsehen" (Zeilinger) gehörte bereits Protagoras (480 - 410), der schon in der Antike vor dem Irrglauben einer natürlichen Objektivität des Menschen warnte, indem er in seinem berühmten "Homomensura"-Satz das sinngemäß selbe wie folgt aussprach (von mir ergänzt, um gleich ersichtlich zu machen um was es geht): "Der Mensch ist (sich) das Maß aller Dinge, der seienden, dass (und was) sie (für ihn) sind, der nichtseienden dass (und was) sie (für ihn) nicht sind." Sinngemäß Gleiches sagen in der Jetztzeit die eingangs zitierten Biologen Maturana und Varela. Die empfangenen Daten sich aneignend, bringt der Mensch seine Sicht der Welt hervor. Andere Menschen und andere Lebewesen haben dann naturgemäß eine andere Sicht bzw. Welt. Das mit dem "Maß" bei Protagoras dürfen wir dabei ganz wörtlich nehmen, denn alles Wahrnehmen ist ein Messen. Der Mensch misst also alles an sich selber, z.B. die Temperatur an seinem Wärmeempfinden, obwohl es weder einen Wärmestoff, noch eine Sache "Temperatur" gibt. Trotzdem ist in der Physik die Temperatur heute eine der wichtigsten, uns Verständnis gebenden Größen. Das wissenschaftliche Messen ist da nur die Verfeinerung und Objektivierung der gewöhnlichen Wahrnehmung und ihre Erweiterung. Die Begründer der Quantenmechanik haben also lediglich eine sehr alte Weisheit wieder entdeckt, dass wir von den Dingen primär nichts wissen, sondern für uns nachvollziehbare und interessante Aspekte an sie herantragen und probieren, wie weit sie für unser Verständnis und zur Bewältigung unserer Probleme hilfreich sind. Die Aspekte der Physik sind physikalische Größen, die wohldefiniert sein müssen, wozu es eigene Normenausschüsse bzw. Bureaus of Standards gibt. Auch für den Physiker gilt: Jeder bestimmte Zustand (und Vorgang) ist durch einen Beobachter bestimmt - nämlich durch die von ihm verwendeten Definitionen und Messmittel, ohne die wissenschaftlich nichts als bestimmt gelten kann. Da steht niemand vor oder hinter dem menschlichen Bestimmer, der ihm das abnimmt, weshalb seine Arbeit stets der größten Sorgfalt bedarf und umfassend bedacht werden muss! Eben auch, dass Quanten im Doppespaltexperiment unentschieden Welle und Teilchen zugleich sind (Superpositon), solange sie nicht gemessen werden! Werden sie gemessen, kommen sie eindeutig daher und sind für uns verständlich. Jetzt aber gilt es, endlich auch das Unverständliche zu akzeptieren in der weisen Einsicht, dass die Realität alle Denkbarkeit übersteigt.

Die umfassende Sorgfalt und Disziplin im Umgang mit optischen Phänomenen
standen Pate bei der Entwicklung der Quantenphysik, zuerst durch Max Planck, später durch Einstein, Bohr, Heisenberg, Schrödinger und andere. Zeilinger zeichnet in der ersten Hälfte seines Buches die Entwicklung der Quantenphysik anhand ihrer Experimente und deren Deutung ebenso sorgfältig nach. Daneben erwähnt er ihre Auswirkung auf Wissenschaft und Hochtechnologie und damit auf große Teile der modernen Wirtschaft, die es ohne Quantenphysik nicht geben würde. Man denke nur an den Computer, dessen zentrale Bestandteile Halbleiter sind, deren Verständnis erst durch die Quantenphysik möglich wurde. Und trotz ihrer großen und unstrittigen Erfolge sind Quantenphysiker immer wieder genötigt, ihr Spezialfach zu verteidigen, so auch Zeilinger, gerade auch gegenüber Kollegen, weil das Verhalten der Quanten nicht deren gewohnter Denkweise entspricht. Ein wesentlicher Punkt ist dabei, dass es unüblich ist, die eigene Rolle beim Forschen zu berücksichtigen und viele Physiker darüberhinaus auch aus ideologischen Gründen eine solche Rolle bestreiten, weil sie eine autonome Rolle des Geistes bedeutet, für die in ihrem rein materialistischen Weltbild kein Platz ist. Der berühmteste Bestreiter war der Objektivist Albert Einstein, der Niels Bohr jahrelang mit immer neuen Gedankenexperimenten traktierte, um die von ihm zuerst geförderte Quantenphysik, der er sogar seinen Nobelpreis verdankte, zu Fall zu bringen. Wenn der bekannte amerikanische Physiker Richard Feynman (1918 - 1988) in neuerer Zeit glaubt, "dass heutzutage niemand die Quantenmechanik versteht", so darf man sich von einer solchen Rede nicht bluffen lassen, weil hier mit "verstehen" eine rein materielle Interpretation der Quantenphysik gemeint ist, die ohne die Rolle des Beobachters auskommen soll. Doch es ist schlicht eine Illusion, dass es keine Beobachterrolle gibt. Eine Selbst-Verständlichkeit ist dagegen, dass wir nur durch Beobachtung von der Natur wissen können und dass daher unvermeidlich der Beobachter in jedem Wissen präsent ist, wie auch Zeilinger nicht müde wird zu zeigen. Ich halte es für sehr unklug, diese Rolle zu bestreiten, ist doch schon der "Ort" eines Teilchens die Zugabe eines Beobachters, während das Teilchen selbst ohne Ort und Zeit lediglich in seinem Zustand verharrt (sofern nicht gerade eine Kraft auf es einwirkt). Und wird diese Rolle umfassend bedacht, wird sich fast wie von selbst Verstehen einstellen, auch wenn dabei viele Fallstricke unserer üblichen Denkart zu umgehen sind, die auch Zeilinger nicht alle bemerkt. So spricht er von "Geschwindigkeit" objektivistisch immer so, als ob sie die Eigenschaft einer Sache und nicht die Leistung eines Beobachters ist, der sie relativ zu einem Bezugssystems bestimmt, das daher genannt werden muss, soll eine Geschwindigkeitsaussage Sinn machen, d.h. geistig nachvollziehbar sein. Es ist eben jeder bestimmte Zustand und Vorgang unvermeidlich von einem Beobachter unter Verwendung physikalischer Größen bestimmt, und das nicht nur im Mikrokosmos, sondern in allen Bereichen menschlicher Wahrnehmung. Da sind keine Ausnahmen möglich. Die Auseinandersetzung mit Einsteins Denken hält an, wie auch Zeilingers Buchtitel belegt, weil sie noch nicht zu Ende gebracht wurde. Für mich zählt zu den Tugenden eines Wissenschaftlers, unvoreingenommen zu sein und sich zu freuen, wenn neue Perspektiven sich auftun, die geeignet sind, menschliches Weltverständnis zu erweitern. Nur in dieser Offenheit schafft er Wissen, das diesen Namen verdient und das der Mühe wert ist. Der Geist der Verweigerung bringt niemand weiter.

Wäre Zeilinger von der allgemeinsten erkenntnistheoretischen Position ausgegangen,
wie ich sie eingangs aufgezeigt habe, wäre er mit seinen Erklärungen quantenphysikalischer Messungen sicher schneller vorangekommen, weil ihre Besonderheiten keineswegs so verwunderlich sind, wie er und seine allermeisten Kollegen glauben, sie darstellen zu müssen. Zudem ist er in dieser ersten Hälfte seines Buches vorsichtig im Ziehen der angekündigten philosophischen Konsequenzen, auf die man dann immer wartet, z.B. aus dem von Schrödinger eingeführten Begriff der Verschränkung, der sich schon viele Male bewährt hat. Verschränkungen zu erforschen war und ist ein besonderes Anliegen von Zeilinger, das ihn auch gerade außerhalb von Fachkreisen bekannt gemacht hat, während diese sich eher wehren, davon Kenntnis zu nehmen, wie sich im Verbandsorgan der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) sehr gut verfolgen ließ und lässt. Noch heute schickt es jeder Meldung über verschränkte Quanten einen abwertenden Kommentar hinterher oder spricht gleich im Sinne Einsteins vom "Spuk", nämlich vom "Quantenspuk", um das Soll an engstirniger Kritik zu erfüllen, das orthodoxe Physiker von ihm erwarten. Das war jetzt (Juli 2006) auch bei der Besprechung von Zeilingers neuem Buch "Einsteins Spuk" nicht anders.

siehe hierzu auch das Kapitel 3 MUT ZU INSTANTANEN EFFEKTEN in Text I/C5 = ganzheit.html

Quanten sind dann miteinander verschränkt, wenn sie sich spontan und instantan als eine Einheit verhalten, egal wie weit sie voneinander entfernt sind. Wird z.B. ein Photon horizontal polarisiert, wird das zweite infolge der gleichen Quelle mit ihm verschränkte Photon automatisch die gegenteilige, also senkrechte Polarisation zeigen, wenn es gemessen wird. Da ist natürlich Einsteins Weisheit, dass nichts schneller als das Licht sein kann, damit es zu keinen negativen und damit absurden Lösungen seiner Lorentztransformationen und damit auch zu keinen "geisterhaften" Übertragung von Lichtinformation kommt, am Ende, auch wenn Zeilinger das klugerweise nicht so sieht, um unnötige Konflikte mit den Anhängern der Relativitätstheorie zu vermeiden, weshalb ich seine Aussagen zur RT hier auch nicht weiter kommentieren will. Wie von Zeilinger jedoch gezeigt wird, helfen da auch die von Einstein beschworenen versteckten Variablen oder Parameter nicht weiter, um das Verschränkungsphänomen zu verstehen, sondern es hilft nur noch die Akzeptanz ganzheitlicher Zustände, abwiegelnd "nichtlokal" genannt, die einem mechanistischen Denken so gar nicht liegen. In meinen in den USA in einer Buchveröffentlichung erschienenen Beitrag A PLEA FOR HOLISTIC EFFECTS habe ich die Gravitation eine "Kraft der Ganzheit" genannt, die nicht zulässt, dass etwas für sich allein existiert. "Im Zusammenhalten ist es ein Ganzes", heißt es schon bei Parmenides. Ich denke zu der Frage, wie es zu dieser Ganzheit kommt, vermögen uns die verschränkten Quanten einen wichtigen Hinweis zu geben: ihre Verschränkung hat ja zu allererst ihre Ursache in der gemeinsamen Emission. Der Urknall aber ist die gemeinsame Emission aller Teile unseres Kosmos, der damit auch die Ganzheit definiert, die "ein Gleiches ist", das zusammenhält, um mit Parmenides zu sprechen. In dieser Sicht - der verschränkenden Kraft eines Urknalls für alles von ihm Betroffene - zeigen sich Gravitation und Urknall als eng aufeinander bezogen, wie ja die Gravitation zusammenstürzender Materie wiederum die Voraussetzung dafür ist, dass es überhaupt zu einer Art Urknall kommen kann. Durch einen gemeinsamen Ursprung verschränkt zu sein, erscheint mir so als eine allgemeine, zur Materie gehörende Eigenschaft von den allerkleinsten bis zu den allergrößten Systemen, der weiter nachgegangen werden sollte, wobei es sich zeigen könnte, dass Veränderungen des Gravitationsfeldes - entgegen Einsteins Annahme - ebenfalls instantan auftreten. Das Gegenteil ist ja bis heute nicht bewiesen und es kann gezeigt werden, dass es auch wenig plausibel ist, sondern vor allem einer unkritischen Erwartungshaltung entspringt.

Zum moderaten Positivismus und zur Disziplin der Quantenphysiker gehört es,
sich Aussagen über Unbeobachtbares zu enthalten, z. B. über ungestörte Quanten oder was Teilchen zwischen zwei Beobachtungen machen oder was die wahre Bahn des Teilchens ist und ähnlich "schlaue", mit großen Eifer erörterte, jedoch wissenschaftlich sinnlose, weil nicht aufklärbare Fragen mehr. So vermeiden sie es, Meta-Physik zu betreiben wie Einstein, der sich am liebsten mit der Welt hinter den Erscheinungen befasste, um Gottes steuernde Hand zu finden, auf die er als Determinist meinte, nicht verzichten zu können. Als Louis de Broglie 1924 in Paris in einer Dissertation mutig vorschlug, dass nicht nur Licht Wellencharakter besäße, sondern auch alle massiven Teilchen eine derartige Wellennatur hätten, wurde die Arbeit Albert Einstein in Berlin mit der Bitte um Stellungnahme vorgelegt. Einstein als Anhänger des Kontinuumsgedanken bewertete die Dissertation positiv, u.a. mit den inzwischen klassischen Worten: "Er hat einen Zipfel des großen Schleiers gelüftet", auf was sich Zeilingers Buchtitel bezieht. Einstein wollte eben immer hinter die Dinge sehen. Doch wie die Quantenphysik zeigt, können wir nicht nur nicht hinter die durch Messungen sich ergebenden Eigenschaften sehen, sondern ist es auch falsch, im Unbestimmten Eigenschaften anzunehmen, die sich nur durch Bestimmung ergeben. Hinter dem Schleier ist eben nichts, über das man sinnvoll sprechen könnte, weshalb man darüber schweigen sollte, wie der Anti-Metaphysiker Ludwig Wittgenstein von Zeilinger zitiert wird. Oder wie er selbst es sagt: "Wir haben gesehen, dass die übliche Sicht, die Welt besäße ihre Eigenschaften, unabhängig von uns und unabhängig von der Beobachtung, so nicht stimmen kann." Meine Sicht ist, dass die Realität alle Denkbarkeit übersteigt, wobei ich zwischen Realität und Wirklichkeit unterscheide. Die Realität wird anhand ihrer Wirkungen erfahren. Die Wirklichkeit ist also der Widerschein der Realität, nämlich wie sie in der Wechselwirkung nach außen hin aufscheint. Was sie außerhalb ihrer Wirkungen und damit auch unserer Messungen ist, bleibt unerfahrbar, d.h. die Realität ist transzendent. Und indem die Quantenphysiker das respektieren, zeigen sie sich als echte Wissenschaftler, die sich wie einst Newton ("hypotheses non fingo") keine Theorien ersinnen, sondern - wie er die Beobachterrolle bedenkend - nur aufzeigen, wie mit unserem Wissen über Quantenphänomene möglichst objektiv umzugehen ist. Ich denke, dies darzustellen ist Zeilinger hervorragend gelungen, wie ich überhaupt jeden, der die wichtigsten Begriffe und Konsequenzen der Quantenphysik kennenlernen möchte, das Buch nur empfehlen kann.

Ein Problem habe ich allerdings mit dem strapazierten Begriff des "Zufalls"
- aber nicht, weil ich alles in Gottes steuernden Händen sehe oder im männlichen Allmachtswahn alles unter Kontrolle halten möchte (wovon der alles steuernde Gott nur die Projektion ist), sondern weil ich mich frage, ob der Begriff denn richtig gewählt wurde. Eine "zufällige" Begegnung zweier Menschen, die sich kennen, wäre nach Heisenberg nicht "zufällig", weil ja die Begegnung die Konsequenz ihres vorausgegangenen und damit prinzipiell nachvollziehbaren Weges wäre, auch wenn dessen Dauer in der Regel durch zahlreiche weitere Zufälle bestimmt sein kann, wie Ampelregelungen, Verkehrsaufkommen, Begrüßung von Bekannten, Blicke in Schaufenster, vielleicht sogar Einkauf oder Kaffeepause, bei der dann der Ober zum Bezahlen ewig nicht kam, weil er zwecks Steigerung seiner Libido lieber mit den jungen Damen am Nachbartisch flirtete usw. usf. Es muss doch ein Unterschied gemacht werden zwischen geplanten und ungeplanten Begegnungen, die eben das Wort vom "Zufall" meint. "Zufall" heißt nicht anderes als "ungeplant" und von niemand geplant und daran ist überhaupt nichts Mysteriöses, wenn man nicht glaubt, dass alles in der Welt seit Ewigkeit vorherbestimmt wäre, was dann natürlich auch für den sog. Zufall gelten würde. So landet man auch bei diesen Punkt gleich in den tiefsten Tiefen menschlicher Weltbilder, was zeigt, dass es in der Quantenphysik wirklich um letzte Fragen menschlicher Gewissheiten geht. Die Quantenmechanik beschert uns die scheinbar paradoxe Situation, dass das Kleinste die größten Fragen unseres Selbstverständnisses berührt. Heisenberg unterschied dazu zwischen dem im Nachhinein rekonstruierbaren subjektiven Zufall und dem objektiven Zufall in der Quantenphysik, der den Übergang vom unbestimmten zum bestimmten Zustand beschreibt, den ein Beobachter zwar auslösen, aber dessen Ergebnis er aufgrund seines begrenzten Wissens nie genau vorher sagen kann, wodurch es ein beim Beobachter liegendes Überraschungsmoment gibt, das Deterministen überhaupt nicht mögen, weil sie ja alles unter Kontrolle sehen möchten - was vor allem Ausdruck uneingestandener Urängste statt wissenschaftlicher Einsichten ist. Von allen Naturkonstanten ist die Gravitationskonstante bis heute am wenigsten genau bestimmt, weil der Gravitationseinfluss der umgebenden Materie einschließlich der Messeinrichtungen nicht abgeschirmt werden kann. Prinzipiell gleich verhält es sich bei den Quanten, so dass die "Unschärfe" eigentlich kein spezielles Problem der Quantenphysik ist, sondern mit der Natur des zu Messenden und der Messinstrumente und ihres Einsatzes zu tun hat, das zu verstehen von einem Physiker erwartet werden darf, hätte er doch ansonsten seinen Beruf verfehlt.

Zeilingers eigentliches Anliegen ist, die allgemeinste Basis der Quantenphysik zu finden,
wozu ihm der Begriff der "Information" geeignet erscheint, mit dem er sich in der zweiten Hälfte seines Buches verstärkt auseinandersetzt. Ein Manko ist da gleich, dass er den Begriff der "Information" nur auf der Ebene der Bits definiert als Ja-Nein-Antworten auf unsere Fragen, wobei er fernerhin nicht zwischen Daten und Informationen unterscheidet, weil ja diese auf der untersten Ebene sehr eng beieinander liegen. Wie die moderne Computerwelt zeigt, kann zwar alles Wissen durch Bits mit nur zwei Zustände übertragen werden, aber zur Information wird das Übertragene für einen Menschen doch nur dann, wenn er aufgrund seiner Vorbildung und der momentanen Aufmerksamkeit es auch zu lesen und zu verstehen imstande ist. Information ist also immer etwas Geistiges, darum kann menschlicher Geist auch mit ihr umgehen, während Daten materieller Natur sind, die erst interpretiert werden müssen, um zur Information werden zu können. Trotzdem befindet sich Zeilinger hier auf dem richtigen Weg, indem er zeigt, dass wir uns geistig immer nur mit unserem Wissen über die Welt, also mit unseren Informationen über sie auseinandersetzen können und nicht mit der materiellen, ungeistigen Welt selbst, mit der wir uns, dabei Daten sammelnd, nur körperlich auseinandersetzen vermögen. Daher beschreibt Heisenbergs Unschärferelation, besser Unbestimmtheitsrelation genannt, eine nicht aufhebbare Unschärfe/Unbestimmbarkeit unseres Wissens und nicht eine Eigenschaft der Quanten, weil eben jeder bestimmte Zustand von einem Beobachter bestimmt ist. Das zu verstehen bedarf keiner Quantenphysik, denn es gilt ganz allgemein. Ebenso sind Schrödingers Wahrscheinlichkeitswellen keine wirklichen Wellen, sondern ein Werkzeug unseres Denkens, um aufgrund unseres begrenzten Wissens die Wahrscheinlichkeit berechnen zu können, mit der z.B. ein Photon an einer bestimmten Stelle nachgewiesen werden kann. Zeilinger schreibt, dass wenn wir die Werkzeuge der Quantenphysik auf diese Weise ganz nüchtern so betrachten, wir ihre minimalste Interpretation gefunden hätten. Und indem der Autor noch weiter ausholt, kommt er zu der Einsicht, dass denkerisch kein Unterschied zwischen Information und Wirklichkeit gemacht werden kann, weil die Wirklichkeit, mit der wir mental umgehen, unser eigenes Konstrukt ist, abgeleitet und abhängig von der Information, die wir haben. Oder wie es bei dem Nondualisten Josef Mitterer (Universität Klagenfurt) heißt: "Die Beschreibung des Objekts ist nicht unterscheidbar vom Objekt der Beschreibung!" Der Rest ist Vernunft: "Aber selbstverständlich gibt es vernünftigerweise eine beobachterunabhängige Wirklichkeit - aber nur solange, wie sie nicht beobachtet wird, ist doch jede Beobachtung schon eine Interpretation des kognitiven Apparates. Im Mikrokosmos ist sie darüberhinaus auch noch Wechselwirkung, die den unbeobachteten Zustand zwangsläufig verändert". Für Zeilinger entspricht die Feinkörnigkeit der Welt der Quantisierung unserer Fragen, die wir an die Dinge herantragen, worauf sie im quantenphysikalischen Experiment nur mit "Ja" oder "Nein" antworten kann. Daher wird uns die Welt zum Spiegel unserer Fragen, auf die sie mit "Ja" geantwortet hat. Oder wie Zeilinger es sieht: "Die Quantenphysik wäre dann eine Konsequenz der Tatsache, dass die Welt der Repräsentant unserer Aussagen ist" - weil solche Aussagen wie die dazugehörenden Fragen "eben notwendigerweise 'abgezählt' auftreten", also in ganzen Zahlen. Das ist für mich die Sicht und Interpretation des Physikers. Aus der Sicht des Philosophen ist die Quantenphysik die Entdeckung des Subjekts - sowohl auf Seiten der Natur, als auch auf Seiten der sie Erforschenden -, die es zu respektieren und ins Kalkül zu stellen gilt, soll sich die Welt unserem Verständnis erschließen.

"Das Primat der Information" anzuerkennen,
ist für einen Naturwissenschaftler ungewöhnlich, wenn ich daran denke, wie wenige Physiker bereit sind, überhaupt eine Rolle des Beobachters zu akzeptieren, obwohl ich eine solche Einstellung für naiv und unklug und für unter jeden Bildungsstandard halte und darüber viele Seiten geschrieben habe, für mehr Vernunft plädierend. Letztlich können alle grundsätzlichen Fragen nur durch Vernunft entschieden werden, so auch die, ob es eine vom Bewusstsein unabhängige Außenwelt gibt, für die der Autor des Buches Gründe aufzeigt. Aber jene, die die Beobachterrolle bestreiten, bestreiten dann auch die Relevanz der Vernunft, 1. weil sie eine Rolle des Beobachters ist, 2. weil sie glauben, einen besseren, nämlich direkten Zugang zur Wirklichkeit zu besitzen, die bei ihnen häufig jedoch nur aus kühnen Phantasien und mathematischen Gleichungen besteht. Doch eben aus dieser bohrenden Vernunft heraus dringt Zeilinger immer weiter und weiter vor und landet schließlich bei der entscheidenden Frage "nach dem Wesen des Wissens". Wenn er dazu auf der vorletzten Seite seines Buches hofft, "dass es hier, sicher auch durch die Philosophie, zu neuen Einsichten und sogar Durchbrüchen kommt", so liegt er damit ebenfalls richtig, ist aber eigentlich zu bescheiden, hat er doch selbst in einem großen geistigen Schwung ganz Wesentliches zur Klärung des physikalischen Weltbildes und des menschlichen Verstehens beigetragen, natürlich aufbauend auf den Schöpfern der Quantenphysik, so wie alle Forscher auf den Schultern mächtiger Vorgänger stehen, wie Newton schon betont hatte. Wenn eine Welt hinter dem Schleier gesucht wird, den Einstein immer gelüftet haben wollte, dann ist dieser der Schleier des Nichtwissens um die Prämissen unserer Urteile, wodurch der Urteilende ihnen ausgeliefert bleibt und von Meinungen (gr. "doxa") beherrscht wird. Daher gilt es, als Erstes diesen Schleier zu heben, wollen wir die Herren und nicht die Knechte unserer Meinungen sein. "Philosophieren ist das Ringen um die Freiheit des Geistes", wie es auf der Startseite heißt. Mit dem an Wittgenstein angelehnten Schlusssatz "Die Welt ist alles, was der Fall ist, und auch alles, was der Fall sein kann"* entlässt uns Zeilinger in die Offenheit einer neuen Weltsicht - eine Offenheit, die ich der ganzen Physik wünsche.  *Fettschrift von mir

Ehrungen Zeilingers
Meldung im SWR2 im Mai 2013: "Zeilingers aufsehenerregende Experimente wurden mit zahlreichen Preisen geehrt. Ende 2007 hat er die Isaac-Newton-Medaille des britischen Institute of Physics erhalten. Im März 2013 wurde Zeilinger zum neuen Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewählt." Davon liest man im Einsteinblatt "Physik Journal" natürlich nichts.
Science ORF.at vom 28. April 2014: "Hohe Auszeichnung für Zeilinger. Anton Zeilinger ist in die Amerikanische Akademie der Wissenschaften aufgenommen worden und damit erst der sechste Österreicher in dieser Ehrengesellschaft. ... Bereits 2010 wurde Zeilinger in die Französische Akademie der Wissenschaften aufgenommen." Davon liest man im Einsteinblatt "Physik Journal" natürlich auch nichts, entsprechend meiner Kurzaussage im Anhang zur Startseite: "Auch ein Bild der Wissenschaft spiegelt nur das Weltbild der Redaktion und was ihr als "Wahrheit" genehm ist" - Wissenschaft als Kampfplatz von Weltanschauungen.
Nun doch noch: Die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften teilte am 4. Oktober 2022 mit: Alain Aspect, John F. Clauser und Anton Zeilinger erhalten den Physik-Nobelpreis 2022 für ihre bahnbrechende Experimente mit verschränkten Quantenzuständen.

© HILLE 2004 - 2015
26.03.04 Eingangszitate neu; 18.06.04 Verschränkung erläutert und hervorgehoben; 08./21.10.06 einige Ergänzungen; Mai 2013 Meldung SWR2; Nov. 2014 Meldung ORF, am 14.01.2015 ergänzt; 31.10.2022 Nobelpreismitteilung

Unter dem Titel "Zeilinger und die Entdeckung des Subjekts" auf der 69. Jahrestagung der DPG März 2005 TU Berlin thematisch ergänzt vor dem AKPhil vorgetragen - s. Dokument (1) auf ZEIT UND SEIN3


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