"ich bin hier mit der Nähe noch nicht fertig -"

aus meiner Personalakte - Teil II:  Gedichte von Karl Schubert


Neben den Statements und Briefen von Fräulein Fischer finden sich in meiner Personalakte von weiteren Autoren Gedichte sowie kurze Texte, die Fräulein Fischer mit Recht vor dem Vergessen bewahren wollte und dabei auf mich setzte. Ich komme dieser Erwartung, wenn auch spät aber hoffentlich nicht zu spät, hier gern nach.

"Von Karl Schubert aus Werdau, verschollen seit 1945"
Frage an den Leser: Wer weiß etwas über ihn? Wer war er? Was ist aus ihm geworden?

zuerst seine Gedichte ohne (überlieferten?) Titel:

Hast Du denn
auch deine kleine Lampe lieb -
die des Nachts
dein Zimmer schimmernd füllt?

Ist ein feines stilles Schwesterlein,
deiner Einsamkeiten Schweiggefährtin.
Was aus ihrem zarten Scheinen duftet,
rührt mit Strahlenhänden
in dein Heimwehherz.

Ihr verklärtes Licht
ist milde Wärme,
die des Alltags grelle Töne dämpft -,
ist dein Inselfrieden
und dein Märchenglaube -
deines Müdewerdens süßer Nachtgesang.

Liebe deine kleine
Schimmerlampe,
denn Du bist ihr Pflegling
und der Sinn
ihres heimatlichen Leuchtelächelns.

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Schau mal in mein Zimmer,
wie das klein ist -
glaubst Du,
dass es hier ganz wunderbar zu sein ist
zwischen den paar Schreib-
und Malerutensilien
und den bundtgebundnen Buchfamilien?

Hier verbringe ich
die feinen Stunden
und verbinde mir
die Bosheitswunden,
die die Tage bei den Menschen mit sich bringen.

Hier herrscht Freundschaft unter allen Dingen,
die sich heimlich vorbereiten
für die Feste meiner Einsamkeiten.
Hier kann ich all meinen Schmerz verstöhnen
Und mich wieder mit der Welt versöhnen.

          ------

zur nacht - da ist das leben fein -
da hab ich fast die ganze welt allein
die braven
schlafen
ja in ihren betten
als ob sie garnichts zu versäumen hätten.

nur ich verbannte meine müdigkeit
und tummle durch die felder breit und weit.
der mond gibt festliche beleuchtung zu -
ich steh mit einem straßenbaum
auf du und du
ich klopf im freundschaftlich die rinde
und dünge seinen stamm als angebinde

dann hüpf ich zu dem grenzstein linkerhand
und knüpf mit ihm ein neues freundschaftsband
indem ich mich auf seine oberkante setze
und mit ihm über seinen standpunkt schwätze

ringsum der horizont
ist völlig neblig
sich dorthin zu bemühen
wär vergeblich -

hier unter meinen wandersohlen
liegt der sinn
dem ich bis ultimo
verschrieben bin

ich bin hier mit der nähe
noch nicht fertig -

die ferne wird erst später gegenwärtig
sie scheint auch nicht verlockend meinen füßen
erst muß ich noch den haselstrauch begrüßen
den ich vergangnes jahr
recht dürftig fand

es ist ja alles so vertraut und wahlverwandt,
dass ich mit meiner narrheit überfluß
noch länger hier verweilen muß

die stille streichelt mich
mit kühlen wind -
ich bin der nacht
verzognes spielekind

zwei schritt von meiner
ausgestreckten hand
liegt ausgebreitet trächtig ackerland

ich grab mit andächtiger gebärde
die hände in die feuchte ackererde
das sei -
auch wenn ihr so was nicht versteht -
mein erdgebundnes frühlingsdankgebet.

         18.3.1934
         Karl Schubert.


Ferner finden sich von Karl Schubert in meiner Personalakte noch zwei Gedichte mit Titel, in denen er sich ausführlich einem einzelnen Menschen zuwendet.

MEIN FREUND, DER STRASSENKEHRER

Du bist ein Straßenkehrer
und fegst die Straßen rein
zur Hygiene derer,
die Bessres wollen sein.

Dreck, Staub und Pfützentümpel,
Glasscherben und Papier,
Kanalschlamm und Gerümpel
bevölkern dein Revier.

Drum gehen auch alle Leute
korrekt an dir vorbei
und schauen auf die Seite -
Ihr etwa auch? Ei, ei!

Du stehst auf kleiner Stufe
mit deiner Tätigkeit,
es liegt in dem Berufe
nicht grade Vornehmheit.

Dein Tagewerk ist dreckig
und von geringer Art,
macht deine Hose fleckig
und schmutzig deinen Bart.

Doch wenn es Feierabend
trabst du vergnügt nach Haus,
wäschst allen Dreck herunter
und ziehst den Kittel aus.

Und kommst zu mir ins Zimmer
zur kleinen Nachtmusik,
mich freut aufs neue immer
dein still-verschmitzter Blick.

Du kennst die alten Meister
mit Ton und Art und Stil.
Ich sehe tausend Geister
in deinem Mienenspiel.

Wir sitzen beide stille
und lächeln dann und wann;
du schaust durch deine Brille
mich oft bedeutsam an.

Wenn sich so unsre Augen
im Einverständnis fanden,
ist wohl vom Straßenkehrer
kein Fädchen mehr vorhanden.

Dann sitzt mir gegenüber
ein Mensch mit Seel und Sinn.
Wie freu ich mich mein Lieber,
dass ich dein Kumpel bin.

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lied für einen kameraden

du und ich wir beiden
kameraden großer zeiten
waren bei der infantrie
bei der selben kompanie.

schwer ist die erinnerung
du warst alt und ich war jung

fanden uns in jenem graben
den wir nachts verloren haben -
fünfzehn menschen gingen drauf
langsam ging die sonne auf

doch uns ward das herzblut kalt
ich war jung und du warst alt

freund und feind starb
held um held -
und in dieses totenfeld
hat ein vöglein sich verirrt
hat getrillert und gegirrt

hat uns fast wie hohn geklungen
dir dem alten - mir dem jungen

hat uns keinen trost gebracht -
hat uns sterbensmüd gemacht
sind in unser loch gekrochen
keiner hat ein wort gesprochen

und verschlafen seinen hunger
du ein alter - ich ein junger

immer weiter ging das morden
beide kriegten wir nen orden
wochenlang vom tod gehetzt
hat er uns das herz zerfetzt.

keine der geschosse galten
mir den jungen - dir den alten

aber etwas in uns starb
unser lebenstrieb verdarb
unsre hoffnungsfrohe welt
war an einem wahn zerschellt

mussten drum zusammenhalten
ich der junge mit dem alten

heut - vorbei sind 17 jahre
liegst du vor mir auf der bahre
alles - was da war verneinend
und ich kann nur heimlich weinend
eine feierstunde halten
ich der junge für den alten

          Karl Schubert.



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