Meine Kolumne "Philosophische Sentenz des Monats" auf der kommerziellen Website "Geschenke aus den Museen der Welt".
Philosophische Sentenzen von 2006 - Erscheinungsmonate nach meinen Unterlagen


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2006
Das Ewig-Weibliche und die Eröffnung der olympischen Winterspiele in Turin
15.02.2006

Vom Vorsokratiker Parmenides (ca. 540-480 vor unserer Zeitrechnung) aus Elea in Unteritalien wurden uns größere und kleinere Fragmente seines Lehrgedichts "Über die Natur" überliefert, dessen mythologisch verfasste Eröffnung, das "Proömium", sich wie eine Himmelfahrt des Parmenides liest. Nachdem es mir durch eine glückliche Inspiration gelungen war, die mythologische Einkleidung ganz rational als seinen Erkenntnisweg zu deuten, blieb vor allem die Frage, warum ausschließlich weibliche Wesen Parmenides halfen, seinen Weg zu finden. Das waren zuerst die Göttinnen Dike, die Göttin der Rechtsprinzipien, und Themis, die Göttin des positiven Rechts, die ihn auf den "kundereichen Weg" brachten, da waren "vielverständige Stuten" die ihn trugen, zugleich „den Wagen ziehend mit gewaltiger Kraft“, da gab es "Jungfrauen", in einer anderen Übersetzung "Sonnenmädchen", die den Weg wiesen, und zum Schluss eine namenlose Göttin, die ihn mit Handschlag begrüßte und ihn das wahre Verhältnis von Sein und Nichtsein lehrte.

Da nun nichts am Lehrgedicht zufällig ist, habe ich mich und andere immer wieder mal gefragt, warum Parmenides nur weibliche Wesen auf einen Weg geleiteten "der weitab vom üblichen Pfad der Menschen liegt", so wie ja auch Goethe am Ende seines Faust II den mystischen Chor singen lässt "das Ewig-Weibliche zieht uns hinan", was sicher nichts mit sinnlicher Erotik zu tun hat. Es ist wohl eben so, dass wir uns der Welt erkenntnismäßig in zweierlei Weise nähern können: nämlich der männlichen, nach außen auf Beherrschung drängenden Weise, die sich alles aneignen will und deshalb rein ein Herrschaftswissen pflegt, und auf dem weiblich Weg der einfühlenden und aufnehmenden Hingabe aus Liebe, die zu einem innigen Verstehen des Gegenübers führt.

Das beste Ergebnis wird allerdings dann erreicht, wenn zur weiblichen Intuition das kritische rechte Bedenken auf Grund abgeklärter Prinzipien dazu tritt, also die Vereinigung der weiblichen und der sublimierten männlichen Weise. Auf diesem Weg kommen wir sowohl zu einem innigen, als auch gerechten Verständnis der Dinge. Das ist Fahrt zur Göttin der Weisheit, die uns Parmenides in seinem Proömium beschreibt. Und das wäre auch der Weg, um heute mit anderen Kulturen und der Umwelt zum Frieden zu kommen, und damit ist der Weg des Parmenides hochaktuell, so wie er für mich überhaupt der Philosoph ist, der aus der Zukunft kommt.

Als ich nun im Fernsehen bei der Eröffnungsfeier der olympischen Winterspiele in Turin sah, wie acht weiß gekleidete berühmte Frauen die große Olympiafahnen gemessenen Schrittes durch das Rund des Stadions trugen, darunter Italiens Filmdiva Sophia Loren, die chilenische Schriftstellerin Isabel Allende und die Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai aus Kenia, meinte ich die Botschaft dieses Auftritts, der nicht nur zum olympischen Frieden mahnen will, spontan zu verstehen. Gerade die rechts vorne gehende kenianische Ministerin Wangari Maathai war in der Lage, evtl. bestehende Zweifel an meiner Deutung zu zerstreuen, heißt es doch in der Begründung des Nobelpreis-Komitees "Das Nobel-Komitee erkennt Wangari Maathai den Friedensnobelpreis 2004 für ihren Einsatz für nachhaltige Entwicklung, Demokratie und Frieden zu. Frieden auf der Welt ist von unserer Fähigkeit abhängig, unsere Umwelt zu schützen. Maathai kämpft, um eine ökologisch verantwortliche soziale, ökonomische und kulturelle Entwicklung in Kenia und in Afrika zu fördern …" Aber insbesondere kämpft sie für die Rechte der Frauen und damit um den stärkeren Einfluss weiblicher Denkweise in der Politik. Doch dann wurde den Frauen in Turin die Fahne von der Realität in Form von acht uniformierten, im Gleichschritt marschierenden Männern abgenommen. (Oder sollten dies die richtenden Prinzipien sein?) Aber ganz zum Schluss triumphierte doch noch das weibliche Prinzip in Form der Frauen: das olympische Feuer wurde am Ende von einer Frau wieder einer Frau übergeben, die dann das große Licht zündete. So war dann m.E. auch hier der Bogen von antiker Weisheit und zugleich von Elea in Unteritalien nach Torino in Oberitalien geschlagen.

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS - II. Das Verhältnis von Denken und Sein
(II/5a) Parmenides im Klartext
http://www.helmut-hille.de/parmeni.html


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2006
Wie das Gehirn unsere Welt konstruiert
15.06.2006

Kritische Erkenntnistheoretiker sagen, dass unser Weltbild ein Konstrukt des Gehirns sei, ohne dies immer ausreichend darstellen zu können. Für das Konstruieren gebe ich hier Beispiele, die auf meiner 2. Website ZEIT UND SEIN in bündiger Form als Text [18] zu finden sind. (s. unten)

Der Ursprung von Raum und Zeit
Physiker sagen heute so salopp, Raum und Zeit wären beim Urknall "entstanden", als handle es sich um materielle Dinge wie Teilchen oder Strahlung. Richtig ist, dass komplexe Lebewesen ein raumzeitliches Erleben haben, welches jedoch erst durch die Art der Wahrnehmung und ihrer Verarbeitung entsteht: Die etwas unterschiedlichen Wahrnehmungen der zwei Augen bzw. Ohren werden durch das Gehirn zu einem einzigen Bild bzw. Hörbild verarbeitet, wodurch sich erst der räumliche Eindruck ergibt. Ferner hat die Einheit des Augenblicks eine gewisse Dauer, bis ca. 3 Sekunden, in der Eindrücke gesammelt, überlappt und dabei zu einem einzigen Eindruck miteinander verbunden werden, der uns dann schnelle Veränderungen als "Bewegung" signalisiert. Auf diese Weise haben wir ein einheitliches raumzeitliches Erleben, darauf abgestimmt, ein Überleben unter Bedrohung zu ermöglichen. Doch sind wir deshalb berechtigt zu sagen, dass Raum und Zeit real sind oder dass es gar eine Raumzeit gibt? Haben wir denn nicht gerade erst bemerkt, was das Gehirn alles leisten muss, um den raumzeitlichen Eindruck überhaupt erzeugen zu können? Und ohne die Vergleichsmöglichkeit nacheinander eintreffender Daten durch das Erinnerungsvermögen wüssten wir nichts von Raum, Zeit und Bewegung, und hätten wir keine Wahrnehmung von Worten, Sätzen und Melodien, weil alle Laute und Zeichen nur unverbunden hintereinander registriert werden würden. Erst ihre kontinuierliche Verbindung durch den Wahrnehmungsapparat schafft jene Welt, die wir kennen!

Die neuronale Entstehung raumzeitlichen Erlebens im Kopf können wir überprüfen und sie wurde von Hirnforschern auch geprüft und vermessen. Und Schädigungen des Hirns zeigen wie abhängig unsere Eindrücke von einzelnen Hirnregionen sind! Fallen die Areale aus, die im Hirn für den Bewegungseindruck verantwortlich sind, dann hat der Geschädigte eben keinen! Daher halte ich die Realitätsbehauptung einer Raumzeit für Metaphysik - jenseits der Erfahrung liegend, die zwar hinterfragbar, aber nicht hintergehbar ist.

Die genannten Mechanismen der Wahrnehmung machen Techniker sich zu nutze, indem sie zum Beispiel, wie beim Daumenkino, durch den schnellen Wechsel von (Stand-)Bildern den Bewegungseindruck erzeugen, der Grundlage von Film und Fernsehen ist, wobei die einzige echte Bewegung im Film, der Bildwechsel, so gehalten wird, dass er gerade nicht wahrgenommen werden kann. Oder indem sie zweidimensionale Bilder so gestalten oder zeigen, dass im Gehirn ein dreidimensionaler Eindruck entstehen kann. Diese Techniken widerlegen ebenfalls die naive Behauptung, dass die Wahrnehmung ein bloßer Spiegel der Außenwelt sei und nicht ein Konstrukt des Gehirns. Das Gehirn hat in der Evolution gelernt, weise zu sein, das heißt mit seinem Nichtwissen in zweckmäßiger Weise umgehen zu können. Doch viele von uns haben noch nicht gelernt, seine Weisheit zu erkennen und reden töricht so daher, als brauchten und gebrauchten sie kein Gehirn. Daher ist die Philosophie als "Liebe zur Weisheit" aufgefordert, sie zu vermitteln.

Zum Weiterlesen:
ZEIT UND SEIN - Texte in Versform
[18] Der Ursprung von Raum und Zeit
http://www.helmut-hille-philosophie.de/ursprung.html


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2006
Autismus als Forschungsgebiet (I)
15.07.2006

1. Die Asperger-Autisten

Einerseits hat das Hirn von Haus aus kein Wissen, andererseits ist es ein rational arbeitendes Organ, das uns in der Jugend Warum- und später Sinnfragen stellen lässt. Dazu sammelt es die durch die Sinne hereinkommenden Daten und verarbeitet sie zu einem plausiblen Weltbild. Aber es speichert auch das körperliche Wissen um eingeübtes Verhalten. Weltbild und Verhaltensweisen sind uns als Erwachsene jedoch so selbstverständlich, dass wir gar nicht bemerken, was das Hirn trotz seines prinzipiellen Nichtwissens Großartiges leistet. Erst wenn Gehirnregionen oder neuronale Verbindungen ausfallen, wird man sich dieser Leistungen bewusst, weshalb die Gehirnforschung sich vorzugsweise mit solchen Defiziten befasst. Ein ihr immer interessanter werdendes Forschungsgebiet ist der Autismus mancher Menschen, vorzugsweise Männer, die durch Fehlen höherwertiger kognitiver Fähigkeiten gegenüber ihrer Mitwelt isoliert sind. Sie leben abgeschottet wie unter einer Glasglocke, was das gemeinsame Kennzeichen aller Autisten ist. Ansonsten ist ihr Erscheinungsbild sehr individuell. Allen aber fehlt das Selbstverständnis als Grundlage von Empathie und sozialem Verhalten, weshalb sie im Alltag oft versagen. Dafür besitzen sie systemische Fähigkeiten. Bei entsprechender Begabung flüchten sie sich in die Mathematik, Physik oder Musik – Gebiete, die ihre eigene Logik haben, die ja dem Gehirn angeboren ist.

Diese Gruppe von Autisten nennt man "Asperger", nach einem Wiener Kinderarzt, der als Heilpädagoge der Kinderklinik der Universität Wien in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als erster dieses "Syndrom" beschrieb. Die von ihrem Spezialthema besessenen sog. "Genies" sind als Sozialpartner oft eine Katastrophe – wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten, wie der Volksmund weiß. Albert Einstein ist ein typischer "Asperger", mit allen Merkmalen eines solchen. Selbstanalyse in einem seiner Reisetagebücher: "Glasscheibe zwischen Subjekt und anderen Menschen. Unmotiviertes Mißtrauen. Papierene Ersatzwelt." Familiär ein Desaster, in der Physik zwanghaft zur Systematisierung neigend, leugnete er heftig die Rolle des Beobachters und damit des spezifisch Menschlichen in der Wissenschaft, weil es ihm am Selbst- und damit auch an Fremdverständnis mangelte. János Plesch, sein Arzt: "Er lacht, das ist seltsam, auch wenn andere weinen".

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS - I. Rationale Grundlagen der Physik
(I/B7a) Anhang 2: "Ich bin ein ganz isolierter Mensch..." Einstein als Autist. Buchauszüge
http://www.helmut-hille.de/exkurs4.html


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2006
Autismus als Forschungsgebiet (II)
15.08.2006

2. Die Savants

Neben den autistischen "Aspergern" gibt es noch eine andere und weit bemerkenswertere Gruppe mit einem sog. "milden Autismus": die Savants, frz. "die Wissenden", die jedes Buch auswendig hersagen können, das sie einmal gelesen haben. Oder die zu jedem Datum sofort den Wochentag wissen oder jede Primzahl kennen. Oder die Mengen von Gegenständen mit einem Blick zuverlässig zu erfassen vermögen, die also, wie die Asperger, auf Zahlen fixiert sind. Dustin Hoffman hat im Film "Rainman" einen solchen, im Alltag hilflosen Savant großartig gespielt. Seinem noch lebenden Vorbild aus Salt Lake City, Kim Peek, fehlt die Verbindung zwischen den beiden Gehirnhälften, das Corpus Callosum. Jede Doppelseite eines Sachbuches braucht er sich nur einmal 8 Sekunden lang anzusehen. Er liest die Seiten nicht, sondern prägt sie sich optisch ein und zwar beide Seiten zeitlich parallel mit je einem Auge – und wird trotzdem nie ein Wort vergessen. Daneben kennt er Geschichtsdaten, Busverbindungen, das Straßennetz der USA und Kanada, das Fernsehprogramm, die Telefonvorwahlen und die Postleitzahlen. Seine beispiellosen Fähigkeiten haben ihm den Spitznamen "Kimputer" eingebracht – die Verbindung von "Kim" und "Computer". Außerdem ist er im Besitz eines absoluten Gehörs, weshalb man ihn in kein Konzert mitnehmen kann, weil er sofort jeden falschen Ton lautstark reklamieren würde. Andere Savants sind wahre Rechenkünstler, obwohl sie nie wirklich rechnen. Sie haben einen unmittelbaren Zugriff auf die Ratio des Gehirns und sehen die Zahlen fertig vor sich. Oder ohne das Musizieren erlernt zu haben, spielen sie alles, was sie jemals gehört haben fehlerfrei oder komponieren sogar selbst – Wunderkinder eben.

Bei Savants und Asperger kommen also die uns sonst unbewussten Fähigkeiten des Gehirns – Daten gewissenhaft zu sammeln und sie rational zu verarbeiten – ungefiltert zum Tragen. Autismus ist keine Krankheit, sondern ein angeborener oder durch Unfall erworbener Gehirndefekt, der daher auch nicht geheilt werden kann. Autisten können bestenfalls lernen, mit ihren Defiziten umzugehen, soweit sie denn einsichtig sind. Aber uns "Normalen" geben sie einen tiefen Einblick in das, von dem wir leben und das wir doch immer noch zu wenig verstehen: das Gehirn.

Quelle war die 2006 zuerst von ARTE ausgestrahlte TV-Serie "Expedition ins Gehirn"


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2006
Autismus als Forschungsgebiet (III)
15.09.2006

3. Die Wichtigkeit der sozialen Kompetenz

Aristoteles, der erste und größte aller Wissenschaftsphilosophen, nannte den Menschen ein "Zoon politicon", also ein Lebewesen, das in Gemeinschaft mit anderen existiert und das erst in ihr seine mentalen Fähigkeiten entwickeln kann. Sprache bedurfte zu ihrer Entstehung des Zuhörers. So leben Autisten, auch als Asperger und Savants, zwar unter uns, aber nur wenig mit uns. Die Daten sammelnde und verarbeitende Basis des Gehirns, die sich bei Savants besonders eindrucksvoll bemerkbar macht, lässt viele Gemeinsamkeiten des Gehirns mit dem Computer erkennen – aber der Savant in seiner Erscheinung macht eben auch deutlich, dass das, was das spezifisch Menschliche ausmacht und ohne das wir nicht überleben können: die soziale Kompetenz, erst oberhalb der von ihm beherrschten kognitiven Ebene entsteht, deren Existenz der Autist Einstein ein Leben lang leidenschaftlich bestritt.

Erst die Autismusforschung macht verständlich, warum es in seinen Augen keine Rolle des Beobachters geben konnte. Auch wenn Genies uns noch so faszinieren – so machen gerade sie, sowohl mit ihren positiven wie mit ihren negativen Besonderheiten, uns auf die große Bedeutung der friedlich machenden sozialen Fähigkeiten für das Leben und Überleben aufmerksam. Diese soziale Kompetenz ist es daher, die unsere größte Aufmerksamkeit verdient und die es zu entwickeln gilt. Das mechanisch abrufbare Wissen und das monotone Systematisieren können wir getrost den Computern überlassen. Aber an unserem Menschsein gilt es zu arbeiten, damit es zu einem friedvollen Miteinander kommt, auch mit der Natur, von der wir leben.

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS - II. Das Verhältnis von Denken und Sein
(II/15) Autismus als Forschungsgebiet. Formen des Autismus - mit Internetquellen zum Thema
http://www.helmut-hille.de/autismus.html


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2006
Haben wir die Idee der Evolution schon wirklich verstanden?
15.10.2006

In der Forschung treffen Fakten häufig auf ein Denken von Forschern, das diesen Fakten nicht angemessen ist, wodurch es dann das gibt, was sie "Probleme" nennen, die aber oft nur die Probleme ihres unangepassten Denkens sind. Wer also ein Determinist ist, wird selbstschöpferische Hinweise bestreiten oder gleich nicht beachten. Gottgläubige dagegen wollen überall die Hand des Schöpfers im Spiel sehen. Das sind einige der Denkweisen, die der Idee der Evolution noch heute im Wege stehen. Aber es ist auch zu fragen, ob die Anhänger des Evolutionsgedankens selbst ihn immer als einen immanenten selbstschöpferischen Prozess verstanden haben oder verstehen, denn fast stets, wenn ich Biologen von der Evolution sprechen höre, argumentieren sie nämlich mit einem Prozess der "Anpassung", obgleich es genetisch gesehen diesen gar nicht gibt, sowenig wie es die Vererbung erworbener Eigenschaften gibt. Genetisch gibt es nur einen Prozess der Verzweigung von Stammbäumen durch Varianten, die bei der Mischung der Gene innerhalb eines Genpools entstehen, wenn wir hier einmal von der Fortpflanzung durch Zellteilung absehen.

Die vielzitierte "Anpassung" dagegen ist das Ergebnis der Auslese von Varianten durch die Bedingungen ihrer Um- und Mitwelt in den Augen eines Beobachters, der sich das Ergebnis mit der Vokabel "Anpassung" rational verständlich zu machen versucht und auf diese Weise der Natur einen Anpassungswillen unterstellt. Doch die Natur ist blind und ziellos. Und sie unterliegt auch nicht irgendwelchen Naturgesetzen, sondern was wir Naturgesetze nennen, ist Folge ihres Soseins in einem freien Spiel der Kräfte. Wie können wir also den Prozess der Evolution als einen selbstschöpferischen, seine Gesetzmäßigkeiten selbst hervorbringenden Prozess am besten verstehen? Ich denke, dass uns da die Idee der Emergenz hilfreich ist, weil sie zeigt, dass weder Eigenschaften aus dem Nichts entstehen, noch dass es sie definitiv vorher schon gegeben haben muss, noch dass ihre Entstehung zwangsläufig ist. Sondern durch die Neigung der Materie sich zu verbinden, kommt es unter Hinzunahme oder Abgabe von Energie ungeplant zur Mischung qualitativ unterschiedlicher Elemente zu einer neuen Einheit mit nach außen hin neuen Wirkungen, wie sich dies auch in der Physik und Chemie erwiesen hat. Mental ist es dabei die Mischung aus objektiven, durch die Sinne hereinkommenden Daten mit den subjektiven adaptierenden Elementen unseres ordnenden Verstandes, durch die für uns fortschreitend eine neue Welt entsteht, die wir die geistige nennen, die es jedoch kritisch zu hinterfragen gilt, wollen wir uns nicht zufälligen Ergebnissen der unbewussten Adaption überlassen.

Zum Weiterlesen:
ZEIT UND SEIN - Tagungsbeiträge
(4) Delfi-Workshop 2006: Haben wir die Idee der Evolution schon wirklich verstanden?
http://www.helmut-hille-philosophie.de/idee.html


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2006
Newtons Universum und Gottes Wesen - oder die Macht der Stille
15.12.2006

ZEIT UND SEIN - Texte in Versform
der gleichnamige Text [19]  (dort Titelteile vertauscht)

ohne Empfehlung zum Weiterlesen


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