Prolog

- PROJEKT ZUKUNFT -

Die Schwierigkeit, über sich hinaus zu denken


Der Mensch ist sich selbst die größte Herausforderung.
Wird er sie erkennen und annehmen?

Des griechischen Philosophen Protagoras (480-410) berühmter Ausspruch "Der Mensch ist (sich) das Maß aller Dinge…" spricht das Problem an, mit dem der Mensch zu kämpfen hat: seine Schwierigkeit, über sich hinaus denken zu können. Das Problem hat zwei Ursachen: einmal den Zwang des Einzelnen, sich auf den eigenen Überlebenskampf zu konzentrieren, sodann das Fehlen eines objektiven Wissens. Wenn jedoch der Einzelne erkennt, dass er ökonomisch, geistig und kulturell auf andere Menschen angewiesen ist und sich darauf einstellt, beginnt er über sich hinaus zu denken. Im globalen Zeitalter, müsste er dazu global denken, also bedenken, wie sich seine Handlungen global auswirken. Aber selbst ein globales Denken wäre in Anbetracht der Mächtigkeit der Menschheit zu wenig, denn der Mensch ist nicht nur Mitglied einer menschlichen Gruppe bzw. der Menschheit, sondern er ist auch auf Gedeih und Verderb Mitglied des Ökosystems Erde, eine Erkenntnis, die es wegen des eigenen und des Gruppenegoismus immer noch schwer hat, akzeptiert zu werden, zumal Politiker geneigt sind, nur den eigenen Machterhalt in den Mittelpunkt ihres Denkens und Tuns zu stellen und dabei nur die nächste Wahl im Auge zu haben. Es ist also heute nicht mehr mit einer Ethik getan, die allein das menschliche Wohl zum Gegenstand hat, sondern die langfristig das Ganze bedenken muss: der Mensch in seinem Eingebundesein in dieses Ganze und seine Wirkungen auf das Ganze, das ja kein starres Ganzes sondern ein sich stetig wandelndes Ganzes ist. Der heutige Mensch muss also nicht nur räumlich über sich hinaus denken, sondern auch gerade zeitlich. Nur wenn er die Auswirkungen seines gegenwärtigen Verhaltens für das Ökosystem Erde und dessen Zukunft bedenkt, wird er eine Zukunft haben, die nicht durch Katastrophen bestimmt wird.

Die Schwierigkeit, über sich hinaus zu denken, besteht jedoch nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wissenschaft, in der es ebenfalls in jeder Beziehung "menschelt". Auch in ihr geht es sowohl um den Autoritätserhalt Einzelner, als auch der durch Paradigmen verbundenen Gruppen durch die Verteidigung der eigenen Position bzw. des vertretenen Paradigmas um (fast) jeden Preis. Hier sollte sich der Laie keiner Illusion hingeben. Es ist die subversive Eigenart von Paradigmen, sich nicht selbst zu thematisieren, sondern sich als ganz "natürlich" und "objektiv gegeben" hinzustellen, weshalb sie so schwer auszumachen und zu durchschauen sind. Aber auch in der Wissenschaft muss es mehr denn je darum gehen, den eigenen Standpunkt und die eigene Disziplin zu transzendieren, soll die Wissenschaft zukunftsfähiger werden und ihren wichtigen Beitrag für das allen Menschen aufgegebene PROJEKT ZUKUNFT zu leisten.

Das PROJEKT ZUKUNFT sei das wichtigste Projekt der Menschheit, aber es ist eben auch das Schwierigste, weil es ja gilt, über den eigenen vertrauten Horizont hinaus zu denken. Diese Seiten wollen zu dieser Not-Wendigkeit Hilfestellungen geben, in dem sie "an der Schnittstelle von Philosophie und Physik, Kosmologie, Gehirnforschung, Biologie und Evolution", wie es im auf der Startseite vorgestellten "WEBIS-Projekt" heißt, Aufklärung leisten wollen, wie Horizonte und Paradigmen erkannt und überwunden werden können. Ich bin überzeugt, dass wir auf Dauer unser Menschsein und unsere Zukunft nur meistern können, wenn wir erwachsen werden und die Welt so annehmen, wie sie sich uns erweist. Suchen wir immer nur krampfhaft nach Rechtfertigung offenkundig gewordener Irrtümer, anstatt sie abzulegen, dann sind wir nicht zukunftsfähig.


Wissen - Nichtwissen - Weisheit

Die Naturwissenschaft gehört zur Geschichte der Idee des "sicheren Wissens". Sie war und ist vom Optimismus getragen, durch Beobachten und Nachdenken ein "sicheres" Wissen über die Mechanismen des Naturgeschehens zu gewinnen. In diesem Drang ist es den Wissenschaftlern gelungen, auf vielerlei Wegen viel Wissen anzuhäufen. Unklar ist dabei geblieben, was letztlich die Sicherheit eines Wissens ausmacht. Das sicherste Wissen als Ergebnis physikalischer Forschung ist die fundamentale Erkenntnis über den Grad der Unsicherheit unseres Wissens über Ort und Geschwindigkeit eines Teilchens, Heisenbergs Unschärferelation. Die Unschärferelation ist der forscherischen Intention derart entgegengesetzt, dass sie a) für den Skeptiker glaubwürdig ist, weil ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei ihr um das Ergebnis eines Wunschdenkens handelt, b) für die deterministische Fraktion der Physiker inakzeptabel bleibt. Wegen ihres durch nichts einzubremsenden Objektivismus hält die Fraktion darüber hinaus die Unschärfe nicht für eine Eigenschaft des Wissens sondern für eine der Quanten, weshalb sie nicht aufhört, über die angebliche Verletzung der Kausalität durch die Quantenmechanik zu klagen, was jedoch scheinheilig ist, da es den Deterministen nicht um Kausalität = Selbstbestimmung, sondern um Determination = Fremdbestimmung geht, eine Fremdbestimmung, die auch den Menschen von der Verantwortung für sein Denken und Tun entlasten würde.

Dabei hatte schon Parmenides (ca. 540 - 480) vor 2500 Jahren erkannt, dass wir mit Sicherheit nur sagen können, dass "Sein ist", dass jedoch alle Aussagen über Seiendes "doxa", d.h. von der Biographie der Sterblichen genährte Meinungen sind. Descartes (1596 - 1650) schränkte die Erkenntnis des Parmenides sogar noch ein, indem er Sicherheit nur für den Akt der Selbstvergewisserung gelten lassen wollte: "cogito, ergo sum". Dass nur über die Existenz von konkreten Einzelnen Sicheres gesagt werden kann, war jedoch schon Wilhelm von Ockham (ca. 1300 - 1350) klar geworden, weil es sich bei allen Universalia, die Gegenstand der Sätze der Naturwissenschaft sind, um "Intentionen oder Begriffe der Seele" und nicht um "natürliche Substanzen oder bewegliche Dinge handelt", denn sie "sind in keinem durch Naturwissenschaft gewußten Satz Subjekt oder Prädikat." Auch die Sätze der Naturwissenschaft gehören zur Welt der "doxa", doch sind sie besonderen Auswahlkriterien unterworfen oder sollten es zumindest sein.

Wissen ist immer ein Mittleres. Nur dadurch kann es zum Mittler zwischen Objekt und Subjekt werden. Ein "objektives Wissen" wäre ein Widerspruch in sich. Wissen bildet die Realität nicht ab, wie der naive Realist meint. Es ist keine Verdoppelung einer fremden und damit auch fremd bleibenden Realität. Sondern Wissen ist das Ergebnis der Anverwandlung der fremden Realität an die eigene. Durch umfassende Aneignung auf uns hereinströmender Daten werden wir in die Lage versetzt, mit dem fremden Gegenüber mental und real einen vertrauten Umgang zu pflegen. Das beste Beispiel hierfür ist der lange Zeit herrschende Animismus, der selbst in der modernen Wissenschaft seine Spuren hinterlassen hat. Das Geistige hat eine ihm eigene Kompetenz, die es auf Einflüsse von außen - wie bei allen Lebensvorgängen - autonom nur nach der eigenen Struktur reagieren lässt. Weil die Universalia nur in unserem Kopf existieren, kann die Frage nach der "Wahrheit" allgemeiner Sätze im Sinne einer Referenz überhaupt nicht greifen. Hier ist für die Richtigkeit von Sätzen nur die eigene Verständigkeit Maßstab. Deshalb ist es aber auch immer wieder wichtig, das Denken auf die Spur der Wirklichkeit zu setzen, was mit zum Anliegen dieser Homepage gehört, in deren Zentrum in mehreren Texten das Lehrgedicht des Parmenides steht. Grundlegende Einsichten über die Strukturdeterminiertheit lebendiger Systeme verdanken wir dem Autopoiesekonzept Maturanas, mit dem sich zu befassen lohnt. Dem Natürlichen des Nichtverstehens ist W. Dittrich nachgegangen. Dass die Frage nach der Realität unsere Schicksalsfrage ist, drückt Roswitha Safar in ihrem Gedicht "Ananke" in unvergleichlicher Weise aus (s. I/A4L). Ein weiteres Gedicht von ihr über die Sprache, die klar und dunkel zugleich ist, findet sich auf der Seite des Autors.

So auf unsere kognitiven Fähigkeit zurückverwiesen müssen wir von diesen ausgehen und von ihnen her bestimmen, welches Wissen für uns möglich und akzeptabel ist. Ein solches Wissen wäre eben mehr als ein "Vermutungswissen" (Popper), setzten wir doch seine Bedingungen rational einsichtig selbst. Der Versuch hierzu sind diese Seiten, die den Möglichkeiten und Wegen des Denkens nachgehen. Akzeptabel ist für mich nur ein Wissen, wenn es vor dem Forum der Vernunft besteht, denn die abwägende Vernunft ist unser höchstes Vermögen. Mit einem geringeren Kriterium sollten wir uns nicht begnügen. Als Inhaber dieses Vermögens müssen wir die Selbstverantwortung für unser Wissen erkennen und übernehmen. Wir können sie nicht irgendwelchen selbstkonstruierten sog. wissenschaftlichen "Beweisen" aufbürden, in der Hoffnung, unserer Verantwortung zu entkommen. Und wäre allein die Plausibilität der "Erklärung" von Fakten Maßstab für Richtigkeit, wäre die Wissenschaft Freibrief für Absurdes, denn Erklärungen sind beliebig, wenn sie nur den Zeitgeist treffen und so ein Publikum finden. Da kann es wissenschaftlicher sein - z.B. aufgrund der unstrittigen Erfahrung vom Vorliegen einer Zentripetalkraft - nur ein mathematisches Konzept zu entwickeln, um mit dem Faktum in brauchbarer Weise umgehen zu können, wie im Falle der Schwerkraft einst Newton, im übrigen jedoch mit ihm zu sagen: "hypotheses non fingo".

Letzten Endes ist diese Schrift die Wiederholung der Kantschen Forderung, sich des eigenen Verstandes zu bedienen und die Sicherheit eines Wissens im Rahmen der Vernunft zu bestimmen, wie dies in der Mathematik geschieht. Ein solchermaßen durch Vernunftkriterien abgesichertes Wissen wäre für mich ein "weises Wissen". So ist nicht zufällig die Philosophie die Liebe zur Weisheit. Und ihr Quell ist das Wissen um das eigene Nichtwissen. Weil Sokrates wusste, dass er nichts wusste, wurde er ein "Weiser" genannt. Durch das Wissen um unser Nichtwissen wissen wir objektiv, d.h. die Objekte betreffend, zwar immer noch nichts - das ist genau wie bei Heisenbergs Unschärferelation! - aber von Illusionen befreit fangen wir an, uns und die Welt zu verstehen: eine das Ganze und seine Zusammenhänge bedenkende geistige Dimension, die für unser Überleben die wichtigste ist. Und die je eigene Kompetenz und Arbeitsweise des Geistes und des Verstandes zu verstehen und zu nutzen ist Aufgabe einer Philosophia perennis - einer immerwährenden Philosophie. Wer nicht um die Prämissen seines Denkens weiß, bleibt der Gefangene seiner Überzeugungen. Daher ist die Philosophie das Ringen um die Freiheit des Geistes, wie es eingangs auf der Startseite heißt.

Weder kann Wissen ohne Weisheit, noch Weisheit ohne Wissen gelingen. Daher kommt es darauf an, beide zusammenzuführen und zu einem intelligenten Umgang mit Nichtwissen und menschlicher Subjektivität zu kommen.

Oder wie es H. Reichenbach formulierte: "Die Befreiung von den Willkürlichkeiten der Naturbeschreibung wird nicht dadurch erreicht, daß man sie in naiven Absolutismus bestreitet, sondern allein dadurch, daß man sie als Willkürlichkeiten erkennt und formuliert; der Weg zur objektiven Erkenntnis geht allein durch das Bewußtwerden der Subjektivität in unseren Erkenntnismethoden." Diesen Weg aufzuzeigen und Weisheit in allen Feldern des Denkens anzumahnen, ist ein wesentliches Anliegen dieses Buches!



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