Das Realprinzip als Erkenntnisstrategie


Langtext Vortrag auf der DPG-Frühjahrstagung März 1995 in Duisburg FV DD, Tagungsband S.176-181
Kurztext und Gutachten

mein erster Vortrag vor der DPG und noch immer einer der wichtigsten
(Vortragstexte, eingereichte Kurztexte und Veröffentlichungen werden als Dokumente stets unverändert wiedergegeben)

Kurztext
Bertrand Russel hat darauf hingewiesen, daß ein häufiger Fehler in der Wissenschaft darin liege, zwei Sprachen zu vermengen, die streng voneinander getrennt sein müßten, nämlich die Sprache, die sich auf Objekte bezieht, und die, die sich auf Beziehungen bezieht. Beziehungen, lat. Relationen, sind rein mentaler Art und entstehen durch geistige Verknüpfungen. Durch Verknüpfungen ordnen wir Objekten uns Verständnis gebende Eigenschaften zu, die sie nicht für sich selber haben, z. B. die des Größerseins eines Objekts als ein anderes. Meiner Überzeugung nach muß es das Ziel in den Naturwissenschaften sein, gedanklich und sprachlich weitmöglichst auf der Objektebene zu argumentieren. Diesen anzustrebenden Argumentationsgrundsatz nenne ich "Das Realprinzip". Ich verstehe es als einen Grundsatz, den die Vernunft mir nahelegt, wenn ich erkenne, daß ich zwischen Relationen und Realitäten unterscheiden muß und zu bedenken habe, daß nur vom Realen und nicht von Relationen kausale Wirkungen ausgehen können, bestehen letztere doch nur im Kopf des Beobachters. Gingen von Relationen, die nur mental existieren, Wirkungen aus, dann hätten wir es nicht mehr mit Wissenschaft sondern mit Magie zu tun. So verkörpert das Realprinzip als Denkprinzip den Geist der Wissenschaftlichkeit. Ich zeige auf, daß wir bereits allein durch die Anwendung des Realprinzips viele Probleme der heutigen Physik vermeiden.


Gutachten über zwei Aufsätze* von Herrn Helmut Hille
Der zweite Aufsatz, "Das Realprinzip als Erkenntnisstrategie", geht von einer strikten Unterscheidung zwischen Eigenschaften und Beziehungen aus. Dabei werden Beziehungen oder Relationen als Ergebnisse mentaler Vorgänge und somit nicht primär als Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung aufgefaßt. Der Vf. (Verfasser) stellt sich auf den Standpunkt, der in der Philosophie eine Tradition hat, die von Aristoteles über Leibniz bis Kant reicht. Besonders bei Kant zeigt sich deutlich, daß auch Relationen als eine spezielle Art nichtuniverseller Eigenschaften angesehen werden können. Dieser Konzeption wird in der Mengentheorie Rechnung getragen und wäre in die Problemlösung des Vf. integrierbar. ... Die Ausführungen des Vf. sind in sich konsistent und stellen einen ernstzunehmenden Ansatz zu einer kritischen Analyse grundlegender naturphilosophischer Begriffe dar.

gez. Jan Berg

München, den 14.12.1994
Professor Dr. Jan Berg
Technische Universität München
Lehrstuhl für Philosophie

*Der erste Teil des Gutachtens behandelt den Aufsatz "Messen als Erkenntnisakt" - s. Kurztext (I/A6)


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